Taussig, Theodor Ritter von

Taussig Theodor Ritter von, Bankier und Finanzfachmann. Geb. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 22. 7. 1849; gest. Wien, 24. 11. 1909; mos.

Sohn von Hermann T. (1813–1891), Dir. einer Kattundruckerei, Vater von zwölf Kindern, u. a. von →Helene (v.) T., Schwiegervater von →Friedrich (Fritz) Redlich sowie des Zuckergroßindustriellen und ung. Magnatenhausmitgl. Bela Baron Hatvany-Deutsch, des Berliner Prof. für Bakteriol. August v. Wassermann und des Großindustriellen Rudolf Paul-Schiff; ab 1873 verehel. mit Sidonie Schiff (geb. Breslau, Preußen / Wroclaw, PL, 26. 7. 1855; gest. Wien, 11. 4. 1936). – T. besuchte die Unterrealschule in Prag und übersiedelte nach einem Losgewinn (300.000 fl) des Vaters 1862 mit seiner Familie nach Wien, wo er seine Ausbildung an der Oberrealschule, der Höheren Handelslehranstalt sowie bei →Simon Spitzer fortsetzte. Ab 1866 Praktikant im Bankhaus Landauer & Goldschmidt, wurde er 1869 mit Beginn der Geschäftstätigkeit der unter der Ägide von Landauer & Goldschmidt gegr. Wr. Wechselstuben-Ges. als Disponent zugeteilt, 1871 deren zweiter Prokurist und 1872 als Dir. in deren Verw.R. berufen. Nach dem Wr. Börsenkrach 1873 wurde ihre Liquidation eingeleitet. Da auch die 1864 gegr. Allg. Boden-Credit-Anstalt (BCA) in eminente Schwierigkeiten geraten war, berief Finanzminister →Sisinio Frh. v. Pretis-Cagnodo den Sektionschef im Finanzmin. Alois Moser auf den Gouverneursposten. Dieser beauftragte T. mit der Prüfung der Bücher des Inst. und ab März 1874, nachdem T. zum zweiten Dir. der BCA berufen worden war, mit deren Sanierung. Schon 1875 waren alle Vorschüsse, die von der Finanzverwaltung zur Verfügung gestellt worden waren, zurückgezahlt, und nach nur zwei weiteren Jahren galt die Bank als vollständig saniert. Sowohl für die Sanierung als auch für die erfolgreichen Emissionen der sog. Goldrenten wurde T. 1879 mit dem Orden der Eisernen Krone III. Kl. ausgez. und 1880 in den Ritterstand erhoben. Ab 1880 übernahm er als Berater der Regierung eine führende Rolle in der Verstaatlichung der österr. Privateisenbahnen, an der die BCA durch Durchführung der finanziellen Transaktionen beteiligt war. T. gelang es im Laufe der 1890er-Jahre, den französ. Einfluss auf die Staats-Eisenbahn-Ges. zurückzudrängen. Er gelangte damit gleichzeitig an die Spitze der Verwaltung des größten Eisenbahnunternehmens der Monarchie. Weiters konnte T. mit dem 1886 erfolgten Beitritt der BCA zur Rothschildgruppe, die bisher alle wesentl. Finanzierungen des Staates übernommen hatte, die Beteiligung der BCA an allen bedeutenden Geschäften sowohl der österr. als auch der ung. Finanzverwaltung sowie die Stärkung des Wr. Markts gegen ausländ. Einfluss sichern. Nach der Statutenänderung 1899 wandte sich die BCA unter T.s Leitung verstärkt dem Finanzierungsgeschäft zu, beteiligte sich sowohl an Neugründungen von Ind.unternehmen als auch an der Umwandlung von großen Privatunternehmen in AG und konnte so ihren Ind.konzern wesentl. vergrößern. Im Oktober 1908, vier Jahre nach dem Tod seines Vorgängers, dessen Geschäfte er seither stellv. geleitet hatte, wurde er von K. →Franz Joseph I. zum Gouverneur der BCA ernannt. Deren Einfluss auf die österr. Ind. und Infrastruktur und ihr Aufstieg während T.s Wirken spiegelte sich u. a. in seinen zahlreichen Posten als Präs. des Verw.R. der zum Konzern des Inst. zählenden Ind.- und Verkehrsunternehmen. Neben seinen Tätigkeiten im Finanz- und Wirtschaftssektor gehörte er ab 1901 dem Vorstand der IKG an und trug wesentl. zu deren Sanierung und Neuorganisation bei. Als sich die BCA im Rahmen eines Konsortiums an der Emission einer Anleihe für Russland beteiligte, geriet er allerdings in Konflikt mit der öff. Meinung des Wr. Judentums und legte Mitte Mai 1906 seine Mitgl.schaft im Vorstand zurück. 1891 wurde er Ritter der Eisernen Krone II. Kl. und erhielt u. a. 1905 das Großkreuz des Franz Joseph-Ordens.


Literatur: NFP, 25. – 27. 11. 1909, 25. 12. 1913; Pester Lloyd, 25. 11. 1909; Prager Tagbl., RP, WZ, 25. – 27. 11. 1909; Biograph. Jb. 14, 1912, S. 271ff.; Czeike; Hdb. jüd. AutorInnen; NDB; Wer ist’s?, 1908 (s. Tausig); Österr. Rundschau 21, 1909, S. 412f.; Dr. Bloch’s Oesterr. WS 26, 1909, S. 820f., 839f.; K. Ausch, Als die Banken fielen, 1968, S. 309f.; E. März, Österr. Ind.- und Bankpolitik in der Zeit Franz Josephs I, 1968, s. Reg.; F. Mathis, Big Business in Österr. 1, 1987, S. 291f.; B. Neuner, Bibliographie der österr. Eisenbahnliteratur von den Anfängen bis 1918, 3, 2002, S. 1366; AVA, HHStA, IKG, Tagbl.Archiv, Wienbibl. im Rathaus, WStLA, alle Wien; The Central Archive for the History of the Jewish People, Jerusalem, IL; Mitt. Georg Gaugusch, Wien, Andrew Schuller, Oxford, GB.
Autor: (Ch. Natmeßnig)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 14 (Lfg. 64, 2013), S. 221f.
geboren in Prag
gestorben in Wien

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