Stüdl, Johann

Stüdl Johann, Alpinist, Vereinsfunktionär und Kaufmann. Geb. Prag, Böhmen (Praha, Tschechien), 27. 6. 1839; gest. Salzburg (Sbg.), 29. 1. 1925; röm.-kath.

Sohn eines wohlhabenden Kolonialwaren- und Weinhändlers. – Nach Besuch des Gymn. und der Oberrealschule in Prag begann S. ein Chemiestud. in Dresden, das er nach dem plötzl. Tod des Vaters abbrechen mußte, um dessen Geschäft in Prag zu übernehmen. Er trat dem ÖAV bald nach dessen Gründung (1862) bei und unternahm erste Bergfahrten in den österr. Zentralalpen. Mit der wenig praxisnahen Ausrichtung des ÖAV unzufrieden, gehörte S. 1869 mit Karl Hofmann, F. Senn (s. d.) und Theodor Trautwein zu den Gründern des Dt. Alpenver. Beim Zusammenschluß beider Ver. zum DÖAV 1873 übernahm er eine Vermittlerrolle. 1870–1919 war S. Obmann der Sektion Prag des Dt. Alpenver. bzw. des DÖAV. Zu seinen alpinist. Leistungen zählt v. a. die Erschließung der Glocknergruppe, wo er 1869 gem. mit Hofmann bedeutende Touren, darunter Erstersteigungen bzw. überschreitungen, durchführte. Nach Beendigung seiner aktiven Laufbahn als Bergsteiger widmete sich S. der Erschließung der Hochgebirgsregionen für den aufkommenden Tourismus. So gilt er als Pionier des alpinen Hütten- und Wegebaus und erarbeitete gem. mit Trautwein und Senn Richtlinien für die Organisation des Bergführerwesens, die zur Etablierung dieses Berufsstands beitrugen. Sein Wirken ist in erster Linie mit dem Glocknergebiet verbunden, insbes. mit der Ortschaft Kals (Kals am Großglockner), deren Stellung als Ausgangsort für Großglocknertouren er begründete. Nach S. sind der Anstieg auf den Großglockner über den Südwestgrat (S.-Grat) sowie der Weg zwischen S.hütte und Glorerhütte (J.-S.-Weg) benannt. Nach dem Ende des 1. Weltkriegs verließ S. Prag und übersiedelte nach Salzburg. Den immer radikaler hervortretenden nationalist. und antisemit. Tendenzen im DÖAV erteilte er eine klare Absage. Noch kurz vor seinem Tod trat er dem Versuch, Alpinisten jüd. Herkunft aus dem Ver. zu entfernen, vehement entgegen. S. war k. Rat, Hof-Delikatessenhändler und hatte in Prag wirtschaftl. und soziale Ämter inne, etwa als Laienrichter beim Prager Handelsgericht, als Kurator der Böhm. Sparkasse oder als Dion.mitgl. des Waisenasyls. 1898 wurde ihm das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens verliehen.


Werke: W. (auch s. u. „Donauland-Nachrichten“): Wanderungen in der Glocknergruppe, in: Z. DÖAV 2, 1870–71 (gem. m. K. Hofmann); Ueber Hüttenbau, ebd. 8, 1877; etc. – Ed.: K. Hofmann’s gesammelte Schriften alpinen und vermischten Inhalts, 1871.
Literatur: J. Emmer, in: Z. DÖAV 56, 1925, S. 1ff. (m. B.); Nachrichten der Sektion „Donauland“ des DÖAV, 1924, Nr. 40, S. 167ff.; „Donauland-Nachrichten“, 1925, Nr. 43, S. 23ff. (m. B. u. W.); R. Klebelsberg, in: Der Schlern 6, 1925, H. 1, S. 37ff.; E. F. Hofmann, in: FS zum 60jährigen Bestehen des Dt. Alpenver. Prag ... 1870–1930, 1930, S. 37ff. (m. B.); R. Hemmerle, in: 100 Jahre S.-Hütte (= Prager Nachrichten, Sonderh. September 1968), 1968, S. 29ff. (m. B.); L. Oberwalder, in: Berg’90. Alpenver.jb. 114, (1990), S. 225ff. (m. B.).
Autor: (Ch. Kanzler)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 62, 2010), S. 442
geboren in Prag
gestorben in Salzburg

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