Steinitz, Wilhelm

Steinitz Wilhelm (Wolf, William), Schachspieler und Publizist. Geb. Prag, Böhmen (Praha, Tschechien), 14. 5. 1836; gest. New York, N. Y. (USA), 12. 8. 1900; mos.

Sohn eines Schneiders. Nach seiner Ausbildung in Prag belegte S. unter dem geänderten Vornamen Wilhelm 1858/59 den Vorbereitungs-Jg. für die höheren techn. Stud. am polytechn. Inst. in Wien, ergriff jedoch aus Existenznot und aufgrund seiner Schachleidenschaft die Laufbahn eines Berufsschachspielers, woran auch eine vorübergehende journalist. Tätigkeit für die „Constitutionelle Österreichische Zeitung“ nichts mehr änderte. Nachdem er 1861 das jährl. Turnier der Wr. Schachges. gewonnen hatte, ermöglichten ihm Wr. Mäzene, wie das Haus Rothschild, die Teilnahme am internationalen Londoner Turnier 1862. Fortan suchte S. seinen Lebensunterhalt im engl.sprachigen Raum: bis 1882 in Großbritannien, danach in den USA, deren Staatsbürgerschaft er 1888 erhielt. Seinen kämpfer. Qualitäten als Turnierspieler verdankte S. die internationale Karriere und Reputation als führender Spieler seiner Zeit, die er – mit Siegen in Dublin 1865, London 1868/69 und 1872, Wien 1873 und 1882 (geteilt), New York 1894 – trotz längerer Spielpausen immer wieder absicherte. Dazu kamen eine Reihe von Siegen in kleineren Turnieren und vordere Plätze in internationalen Großturnieren wie 1895 in Hastings. Vielleicht noch bedeutender waren seine Siege in zahlreichen Einzelwettkämpfen. Den Grundstein für seinen späteren Weltmeistertitel legte er im Juli 1866, als er in London den bis dahin als stärksten Spieler anerkannten Adolf Anderssen schlug. Mit seinem Sieg über Johannes Hermann Zukertort 1886 in den USA errang S. den Titel des ersten offiziellen Schachweltmeisters, den er in drei Wettkämpfen erfolgreich verteidigte, zuletzt 1892 gegen den Russen Michail Iwanowitsch Tschigorin. Erst 1894 unterlag er Emanuel Lasker. Als der Revanchekampf gegen Lasker 1896/97 in Moskau noch deutlicher verlorenging, erlitt S. einen Nervenzusammenbruch. In seinen letzten Jahren erzielte er nur noch Teilerfolge, bes. mit dem 4. Rang beim Wr. „Kaiser-Jubiläums-Turnier“ 1898. S. starb völlig mittellos in einer New Yorker Nervenheilanstalt. Großen Einfluß erlangte er als Theoretiker mit seiner Lehre des Positionsspiels, die er als Red. mehrerer Schachkolumnen seinen Lesern nahebrachte – die wichtigste in „The Field“ (1873–82). Mit dem „International Chess Magazine“ gab er 1885–91 seine eigene Z. heraus. Im dt. Sprachraum sorgte Siegbert Tarrasch für die Popularisierung von S.’ Lehren. S. hat sich auch zu anderen Themen, wie vegetar. Lebensweise, Körperertüchtigung oder Frauen- und Minderheitenrechten, geäußert. Seine in seiner letzten Publ., „My advertisement to Antisemites in Vienna and Elsewhere, by ‘A schacherjude’ (Mercenary Jew) or An Essay on capital, labor and charity“, 1900, propagierten Ideen über die Vergabe von Kleinkrediten sind heute wieder aktuell.


Werke: The Modern Chess Instructor, 2 Bde., 1889–95, Nachdruck (= Tschaturanga 47), 1984; The Book of the Sixth American Chess Congress, 1891, Nachdruck (= Tschaturanga 29), 1982; etc.
Literatur: NWT, 25. 2. 1911; Otto; Wininger; Wurzbach (m. L.); Der Schachwettkampf zwischen W. S. und J. H. Zukertort, ..., ed. E. Schallopp, 1886, Nachdruck (= Tschaturanga 70), 1986; L. Bachmann, Schachmeister S., 4 Bde., 1910–21, Nachdruck, 2 Bde. (= Tschaturanga 8), 1980 (m. B.); J. Hannak, Der Michel Angelo des Schachspiels, 1936 (m. B.); D. Hooper – K. Whyld, The Oxford Companion to Chess, 1984, 2. Aufl. 1992; K. Landsberger, W. S., 1993, Paperback 2006 (m. L. u. B.); The S. Papers. Letters and Documents of the First World Chess Champion, ed. ders., 2002 (m. B.); A. Kohut, Berühmte israelit. Männer und Frauen 2, o. J., S. 256ff. (m. B.).
Autor: (K. Kadletz – K. Landsberger)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 60, 2008), S. 192
geboren in Prag
gestorben in New York City

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