Stadion-Warthausen, Johann Philipp Karl Gf. von

Stadion-Warthausen Johann Philipp Karl Gf. von, Diplomat und Politiker. Geb. Mainz, Erzbistum Mainz (Dtld.), 18. 6. 1763; gest. Baden (NÖ), 15. 5. 1824; röm.-kath.

Dem oberschwäb. Reichsadel entstammend, Sohn des kurmainz. HR Franz Conrad Gf. v. S.W. und der Maria Ludovica, geb. Freiin Zobel v. Giebelstadt, Vater von Franz Ser. Gf. v. S.-W. (s. d.), verehel. mit Maria-Anna, geb. Gfn. v. Stadion-Thannhausen. S. trat nach jurist. Stud. in Nancy und Göttingen sowie einer Praktikantentätigkeit am Wr. Reichshofrat 1787 in den österr. diplomat. Dienst ein, avancierte rasch und übernahm 1790 bereits die Gesandtschaft in London, wo er das seit dem Türkenkrieg angespannte brit.-österr. Verhältnis wesentl. verbessern konnte. Aufgrund sachl. Differenzen mit der Wr. Politik quittierte S. 1793 den Dienst, zog sich auf die Besitzungen der Familie zurück und kehrte erst 1801 als Gesandter in Berlin in den diplomat. Dienst zurück. Als Botschafter in St. Petersburg (ab 1803) trug er 1805 wesentl. zum Abschluß des Bündnisses mit Rußland gegen die französ. Expansionsbestrebungen bei. Nach der Niederlage bei Austerlitz (Slavkov u Brna) wurde S. im Dezember 1805 zum Hof- und Staatskanzler ernannt. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern setzte er auf enge Zusammenarbeit mit Preußen, Rußland und anderen europ. Staaten. An die Stelle des 1806 aufgelösten Hl. Röm. Reichs sollte nach S.s Vorstellungen ein neuorganisierter dt. Staatenbund treten, in dem das 1804 neugeschaffene Kaisertum Österr. eine führende Rolle spielen sollte. Gegen den Widerstand in Bürokratie, Diplomatie und Militär, mitunter auch des K., leitete S. Reformen für Verwaltung und Armee ein. Im Gegensatz zur Verwaltungsreform, die mehr föderale Elemente vorsah, konnte die Armeereform, deren Kern die Einführung der Landwehr, des Landsturms und damit der allg. Wehrpflicht bildete, umgesetzt werden. Hinzu kam eine auf die jeweiligen Nationalitäten abgestimmte Pressepolitik, die die Begeisterung für den von S. geplanten Krieg gegen Frankreich schüren sollte. Da sowohl St. Petersburg als auch Berlin zurückhaltend auf S.s Offensivpolitik reagierten, die Armeeführung unter Erzhg. Karl (s. d.) trotz anfängl. Erfolge zudem resignierte, sah sich S. gezwungen, den Krieg von 1809 abzubrechen und Anfang Oktober zu demissionieren. Zunächst zog er sich auf seine Güter zurück, wurde jedoch 1813 reaktiviert und handelte als österr. Bevollmächtigter mit Rußland und Preußen den Reichenbacher Vertrag und damit den Beitritt Österr. zur großen Koalition aus. I. d. F. lehnte er eine Teilnahme als zweiter österr. Bevollmächtigter am Wr. Kongreß ab, war aber bereit, die Ämter des Präs. der Hofkammer (1814) bzw. des Finanzministers (1816) zu übernehmen. Infolge des Staatsbankrotts von 1811 leitete S. ein finanz- und wirtschaftspolit. Reformprogramm ein. 1816 initiierte er die Gründung der Österr. Nationalbank, 1816/17 konnte er die überfällige Reform des Grundsteuerwesens gegen erhebl. Widerstände in Gang setzen. Sein Nachlaß befindet sich im HHStA in Wien.


Literatur: ADB; Biograph. Lex. Südosteuropas; NÖB 15, S. 9ff. (m. B.); Wurzbach; H. Rössler, Gf. J. Ph. S. Napoleons dt. Gegenspieler 1–2, 1966 (m. B.); Biograph. Wörterbuch zur dt. Geschichte 3, 2. Aufl. 1975, Nachdruck 1995; K. O. Aretin, Das Alte Reich 1648–1806, 3, 1997, s. Reg.
Autor: (S. Lippert)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 59, 2007), S. 69f.
geboren in Mainz
gestorben in Baden

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