Speiser, Paul

Speiser Paul, Politiker. Geb. St. Pölten (NÖ), 19. 7. 1877; gest. Wien, 8. 11. 1947.

Sohn eines Buchbindermeisters. Nach Absolv. der Lehrerbildungsanstalt wurde S. 1897 Unterlehrer in Obergrafendorf und Perschling, geriet jedoch wegen seines Antiklerikalismus in Konflikt mit den Schulbehörden und wurde – mittlerweile der Sozialdemokrat. Arbeiterpartei beigetreten – aus dem Schuldienst entlassen. S. fand 1901 ein neues Betätigungsfeld in der Eisenbahner-Unfallversicherungsanstalt und nahm engen Kontakt mit dem reformpädagog. Ver. Die Jungen um O. Glöckel und Seitz (beide s. d.) auf. S. übersiedelte dann nach Floridsdorf (Wien), wo er 1902 die Red. der sozialdemokrat. WS „Der Volksbote“ übernahm, und wurde 1907 Gen.sekr. des linksliberalen Schulreformver. Freie Schule, den er zu einer Massenorganisation ausbaute. 1918 trat er in das neuformierte Reichsparteisekretariat der SDAP ein, wurde 1919 Stadtrat in Wien und übernahm 1920 das Ressort Personalangelegenheiten und Verwaltungsreform. In dieser Funktion vollzog er den Ausbau und die Restrukturierung der kommunalen Bürokratie des nunmehr „Roten Wien“ mit strenger Überparteilichkeit. Ab 1918 war S. zudem Obmann der Wr. Landesorganisation des sozialdemokrat. Erziehungs- und Elternver. Kinderfreunde und trug 1922/23 wesentl. zur Fusion dieses Ver. mit dem Ver. Freie Schule bei. Am 12. Februar 1934 verhaftet, wurde er in Wien in Untersuchungshaft gehalten und Ende Mai 1934 in das Anhaltelager Wöllersdorf überstellt, aus dem er Ende Oktober entlassen wurde. S. zog sich i. d. F. merkl. zurück, beteiligte sich aber an Unterstützungsaktionen für die Familien polit. Verfolgter, entwarf Filmdrehbücher und verf. ein Buch über Bridge. In der NS-Zeit hielt er Kontakt zu K. Renners (s. d.) Bridge-Runden, wurde wenige Tage nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 von der SS verhaftet, erlitt einen Herzinfarkt und stand in der Wr. Polizeiklinik sechs Monate unter Observation der SS. Noch rekonvaleszent, nahm S. Mitte April 1945 an den Sitzungen im Roten Salon des Wr. Rathauses teil, in denen sowohl die Sozialdemokratie als auch die Wr. Kommunalverwaltung neu begründet wurden. S. wurde zum Obmann der Wr. Parteiorganisation, zum Vizebgm., zum stellv. Bundesparteiobmann und in den Nationalrat gewählt. Sein Sohn, Dr. jur. Wolfgang S. (geb. Wien, 20. 9. 1909; gest. ebd., 27. 9. 1994), war vor 1938 Rechtsanwalt und mußte dann über Frankreich ins austral. Exil flüchten. Nach seiner Rückkehr 1946 in der Erwachsenenbildung tätig, u. a. ab 1947 als Dir. der Wr. Urania, hatte er auch auf internationaler Ebene führende Positionen in diesem Bereich inne.


Literatur: AZ, 9., 11. 11. 1947 (m. B.); Bourdet; Czeike (auch zu Wolfgang S.); Hdb. der Emigration, s. Reg.bd. (zu Wolfgang S.); Werk und Widerhall, ed. N. Leser, 1964, S. 397ff. (m. B. nach S. 352); W. Speiser, P. S. und das Rote Wien, 1979.
Autor: (W. Maderthaner)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 59, 2007), S. 14f.
geboren in St. Pölten
gestorben in Wien

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