Singer, Samuel

Singer Samuel, Germanist. Geb. Wien, 12. 7. 1860; gest. Bern (Schweiz), 5. 12. 1948; mos. – Sohn eines Kaufmanns.

Nach Absolv. des Akadem. Gymn. in Wien stud. S. 1877–84 Jus, Phil., Geschichte und Nationalökonomie, 1883–85 auch Germanistik, Romanistik und Anglistik an der Univ. Wien, 1884 Dr. jur., 1885 Dr. phil. mit einer von R. Heinzel (s. d.) betreuten Diss. über „Bruchstücke eines Wörterbuchs der germanischen Sprachen ...“ (tw. publ. in „Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur“ 11, 1886). Danach erstellte S., dessen philolog. Arbeiten stets der Heinzelschen Schule verpflichtet blieben, am Goethe-Inst. in Weimar den krit. Apparat zu „Die Ungleichen Hausgenossen“ für die Weimarer Goethe-Ausg. (Abt. I, 12, 1892), war 1886/87 Gasthörer in Leipzig und 1887/88 in Berlin. Da er aufgrund seiner jüd. Herkunft wenig Möglichkeiten für eine Univ.laufbahn in Wien sah, ging er in die Schweiz und habil. sich 1891 für german. Philol. und neuhochdt. Sprache und Literatur an der Univ. Bern, wo er ab 1896 als ao., ab 1904 als o. Prof. mit wechselnder Venia bis zu seiner Emeritierung 1930 tätig war; 1907–30 auch Dir. der Altdt. Abt. des Dt. Seminars, 1913/14 Dekan der phil.-hist. Fak. In dieser Zeit schuf S., ab 1921 Schweizer Staatsangehöriger, ein umfassendes und vielfältiges Werk. Die Kenntnis zahlreicher (alt-) europ. Sprachen sowie die Berücksichtigung rechtshist. und ethnolog. Gesichtspunkte ermöglichten eine komparatist. Einbettung seiner Stud., von denen viele Wolfram von Eschenbach gewidmet sind. Unter dem Eindruck des 2. Weltkriegs und in bewußter Gegnerschaft zu jegl. nationalist. Vereinnahmung des Fachs im Stile eines Josef Nadler, mit dem es auch zu einer persönl. Auseinandersetzung kam, schuf S. die Basis für sein der Goetheschen Idee der Weltliteratur verpflichtetes Meisterwerk, eine Smlg. von Sprichwörtern des roman.-german. Mittelalters, das von einer Schweizer Forschergruppe auf der Grundlage des hinterlassenen Ms. („Thesaurus proverbiorum medii aevi“, 13 Bde., 1995–2002) fertiggestellt wurde. Den befreundeten Thomas Mann beriet S. u. a. in mediävist. Detailfragen für dessen Roman „Der Erwählte“.


Werke: W. (s. auch Schriftenverzeichnis 1884–1930, in: Festgabe S. S. ..., ed. H. Maync u. a., 1930, m. B.); Die religiöse Lyrik des Mittelalters ... (= Neujahrsbl. der Literar. Ges. Bern, NF 10), 1933; German.-Roman. Mittelalter, 1935; Wolfram und der Gral. Neue Parzival-Stud. (= Schriften der Literar. Ges. Bern. NF der Neujahrsbll.2), 1939; Mittelhochdt. Lesebuch, 1945; etc.
Literatur: Der Bund, 6. 12. 1948 (m. B.); Hdb. jüd. AutorInnen; Kosch; Kürschner, Gel.Kal., 1925ff.; Wininger; F. Strich u. a., in: Der kleine Bund 21, 1940, Nr. 28, S. 217ff. (m. B.); W. Henzen, ebd. 29, 1948, Nr. 50, S. 209ff. (m. B.); H. Jaeckel, in: The American-German Review 27, 1960/61, Nr. 5, S. 13ff. (m. B.); R. Liver, in: Wolfenbütteler Renaissance Mitt. 3, 1979, H. 2, S. 69ff.; H.-U. Seifert, in: Proverbium 4, 1987, S. 271f.; R. Liver, in: Non recedet memoria eius ..., ed. P. Stotz, 1995, S. 187ff.; Internationales Germanistenlex. 1899–1950, ed. Ch. König, 3, 2003.
Autor: (R. Schoeller)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 57, 2004), S. 300
geboren in Wien
gestorben in Bern

Lifeline