Singer, Ludvík

Singer Ludvík, Politiker und Zionist. Geb. Kolin, Böhmen (Kolín, Tschechien), 13. 2. 1876; gest.

Praha, Tschechoslowakei (Tschechien), 23. 7. 1931; mos. – Aus einer Kaufmannsfamilie stammend, wurde S. durch das Milieu der jüd. Gmd. in Kolin geprägt. Nach Absolv. des Gymn. in seiner Heimatstadt stud. er Jus zunächst in Prag, 1896–97 an der Univ. Wien, dann wieder in Prag; 1899 Dr. jur. Danach war er als Rechtsanwaltskonzipient, zuletzt in Prag, tätig. 1906 eröffnete er eine eigene Praxis in Kolin, 1909 übersiedelte er nach Prag. Bereits während seines Stud. engagierte er sich im Ver. der böhm. jüd. Akademiker. Ab 1907 Mitgl. der zionist. Bewegung, wurde er bald eine der führenden Persönlichkeiten der tschech. Zionisten. 1910–15 sowie ab 1917 war er Vors. des regionalen zionist. Komitees für Böhmen. Auf seine Initative geht auch die 1918 erfolgte Gründung der Z. „Židovské zprávy“ zurück. Noch vor Kriegsende verhandelte er mit tschech. RR-Abg. über die künftige Regelung der jüd. Angelegenheiten in Böhmen und Mähren. Im Oktober 1918 war S. unter den Gründern des Jüd. Nationalrats, des repräsentativen Organs der tschechoslowak. Juden, dessen Vorsitz er ebenso innehatte wie jenen der 1919 gegr. Jüd. Partei. Im selben Jahr nahm S. als Mitgl. des Comité des Délégations juives an der Friedenskonferenz in Paris teil. In zahlreichen Gesprächen mit tschechoslowak. Politikern, insbes. mit Edvard Beneš und Th. Masaryk (s. d.), konnten er und seine Mitstreiter die 1920 erfolgte offizielle Anerkennung der jüd. Nationalität in der Tschechoslowakei – als erstem Staat in Europa – erreichen. S. gehörte auch der Leitung der jüd. Kultusgmd. Prags an und wurde 1919 nicht nur in das Prager Stadtverordnetenkollegium gewählt, sondern war auch Mitgl. des Stadtrats. Weiters engagierte sich S. im sozialen Bereich, u. a. bei der amerikan. Hilfsorganisation „Joint“, war Mitbegründer der Jüd. Zentrale für soziale Fürsorge in Prag und Initiator der Staatszentrale für soziale Fürsorge, wo er auch stellv. Vors. war. Daneben fungierte S. als Mitgl. des Aufsichtsrats der Städt. Versicherungsanstalt Prag sowie des Verwaltungsrats der Prager Mustermessen. Sein Bemühen um ein Parlamentsmandat war erst 1929 erfolgreich, als er auf der gem. Kandidatenliste der jüd. und der poln. Parteien zum Abg. der Nationalversmlg. gewählt wurde. Noch kurz vor seinem plötzl. Tod wurde er 1930 Vors. der Prager Kultusgmd.


Literatur: Prager Tagbl., 24. 7. 1931; Enc. Jud.; Lex. böhm. Länder; Otto, Erg.bd.; Univ. Jew. Enc.; Wininger; F. Weltsch, in: Selbstwehr 20, 1926, Nr. 7, S. 1f. (m. B.), Nr. 8, S. 2f.; F. Friedmann, in: Židovské zprávy 14, 1931, Nr. 29, S. 1f.; The Jews of Czechoslovakia 1–2, 1968–71, s.Reg.; H. J. Kieval, The Making of Czech Jewry, 1988, s.Reg.; R. M. Wlaschek, Biographia Judaica Bohemiae (= Veröff. der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Univ. Dortmund, R. B, 52), 1995; Politická elita meziválecného Ceskoslovenska 1918–38, 1998 (m. B.); UA, Wien.
Autor: (J. Harna)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 57, 2004), S. 298f.
geboren in Kolín
gestorben in Prag

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