Sichrovsky, Joseph

Sichrov(w)sky Joseph, Eisenbahnfachmann und Verwaltungsbeamter. Geb. Wien, 11. 6. 1803; gest. ebd., 10. 3. 1873; mos.

Sohn von Moses S. und der Elisabeth, geb.Kuh, Bruder von Heinrich Joachim v. S. (s. d.), ab 1847 verehel. mit Karoline, geb.und verwitwete Wertheim (geb. Fürth, Bayern/Dtld., 1812; gest. Wien, 21. 4. 1861). Nach Absolv. des Gymn. und der Realakad. bei St. Anna in Wien war S. wie sein Bruder im Wr. Großhandels- und Bankhaus H. Biedermann´s Söhne mit Niederlassung in Pest bis 1838 beschäftigt, wo ihm ab 1833 die Prokura erteilt wurde. Nach einer Anstellung bei der K. Ferdinands-Nordbahn wurde S. Gen.sekr. der ung. Zentralbahn, die 1846/47 mit den Strecken Pest – Waitzen (Vác) bzw. Pest – Szolnok als erste Lokomotivbahn in Ungarn den Betrieb aufnahm. Im Zuge der 1850 wirtschaftspolit. erforderl. Verstaatlichung der ung. Privatbahnen wurde S. in die Betriebsdion. der südl. Staatseisenbahn übernommen und als ausgez. Kenner des Eisenbahnwesens wiederholt zu fachl. Gutachten herangezogen. Avanciert zum k. k. Rat, dürfte S. nicht unmaßgebl. an einer Entwicklung beteiligt gewesen sein, die für das System der Privatbahnen, nun mit Staatsgarantie für verzinstes Anlagenkapital, den Konjunkturaufschwung bis 1873 nutzen sollte. Wie sein Bruder war S. Mitgl. gesellig-literar. Künstlerges., in denen er wegen seines sprühenden Witzes, seiner satir. Begabung und seines beißenden Sarkasmus gleichermaßen beliebt wie gefürchtet war. Befreundet mit Angehörigen des gebildeten Bürgertums, gab S. gem. mit dem Bankierssohn Joseph Biedermann handschriftl. vervielfältigte und in der Runde verlesene, kurzlebige Fest- und Juxztg. sowie Wochenbll. teils schöngeistig-liberalen, teils satir.-deftigen Genres heraus, zu deren Autoren die prominentesten Literaten, Musiker, Schauspieler und Maler Wiens gehörten. S. verf. auch eine Reihe fein charakterisierter Schauspiele, die er in seinen Bll. publ., u. a. „Pierot als Intrigant oder Der unheimliche Harlequin“, 1831, „Die Soupirer Hunde“, 1840, „Die Feste Zworechberg oder Der Feind am Jomtev“, 1846. Hervorzuheben sind seine Travestien dt. Klassiker, deren Werke ihm wie seinem Bruder großteils geläufig gewesen sein müssen, voller Anspielungen, Anklängen und Nachahmungen. Seine Schwester Nannette S. (geb. Wien, 5. 8. 1795; gest. ebd., 17. 2. 1878) ehel. 1816 Anton Nathan Schey aus der späteren Großhändler- und Bankiersdynastie Schey v. Koromla. Aus der Ehe (ab 1827) seiner Schwester Antonie S. (geb. Wien, 13. 2. 1805; gest. ebd., 5. 2. 1889) mit ihrem Cousin Leopold Kuh stammen u. a. der Schriftsteller und Journalist E. Kuh (s. d.) und Angelo Kuh (geb. Wien, 21. 6. 1830; gest. Weikersdorf b. Baden, NÖ, 9. 7. 1898), als Dr. jur. Konsulent und ab 1868 Vorstand des Bureaus für Rechtsangelegenheiten der K. Ferdinands-Nordbahn.


Werke: Mss. (tw. red. mit J. Biedermann, alle Hss.smlg. WStLB, Wien): Larkfielder Messanger, 1825, Der Vierblattlete Klee, 1829–31, Matschaker Hofztg., 1830, Humor Comm. Lager, 1831, Jour Fix. Stern in Wien, 1832–33, Soupir. Tagbl., Die Rakete oder Der scherzhafte Nachtisch nach Tisch, 1837, Der Fallschirm, 1837, Originarr=Bl. für Spaß, Ernst, Kunst, Musik und Literatur, 1842, Illustrirte Soupiritums Ztg., 1845, Illustrierte Sulzer Ztg., 1845–46, Verflucht gemeines Intelligenz Bl., 1846, Soupir. Beobachter, 1846; Lustspiele; Pantomimen; Ged.-, Bänkel- und Liedertexte samt Melodie; etc.
Literatur: Wurzbach (s. u. S. Heinrich v.); A. Jellinek, Reden bei verschiedenen Gelegenheiten 1, 1874, S. 142ff.; Die Urne. Jb. für allg. Nekrol. ... 1873, 1, 1876, S. 17; E. Kafka, Eisenbahn-Angelegenheiten und Personalien in lexikal. Form, 1885; S. Jahn-Sichrovsky, Zum hundertsten Geburtstag von H. Sichrovsky, 1894, passim; B. Wachstein, in: Quellen und Forschungen zur Geschichte der Juden in Österr. 11, 1936, S. 90f.; J. Taglicht, ebd., S. 158; B. Wachstein, ebd., S. 348f.; H. Jäger-Sunstenau, Die geadelten Judenfamilien im vormärzl. Wien, phil. Diss. Wien, 1950, S. 170f.; Th. Gomperz. Ein Gelehrtenleben im Bürgertum der Franz-Josefs-Zeit, ed. R. A. Kann (= Sbb. Wien, phil.-hist. Kl. 295 = Veröff. der Komm. für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts 14) 1974, s. Reg.; H. Sichrovsky, Mein Urahn – der Bahnbrecher, 1988, s. Reg.; IKG, WStLB, beide Wien.
Autor: (M. Martischnig)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 56, 2002), S. 222f.
geboren in Wien
gestorben in Wien

Lifeline