Seidler von Feuchtenegg, Ernst

Seidler von Feuchtenegg Ernst, Ps. Wilhelm Engelhardt, Politiker. Geb. Schwechat (NÖ), 5. 6. 1862; gest. Wien, 23. 1. 1931.

Sohn eines LGR, Vater der Kammerschauspielerin Alma Seidler (1899–1977) und des Generaldir. der Österr. Bundesbahnen Ernst S. v. F. (1888–1958). S. stud. Jus an der Univ. Wien (1887 Dr. jur.), wo er bes. durch K. Menger (v. Wolfersgrün) (s. d.) geprägt wurde. Danach zunächst Konzeptspraktikant an der nö. Finanzlandesdion., trat er 1888 als Auskultant in den Gerichtsdienst und war 1890–94 als Juristenpräfekt am Theresianum in Wien tätig. Ab 1895 arbeitete S. bei der Handelskammer in Leoben und unterrichtete daneben als Hon.doz. Volkswirtschaftslehre an der Montanist. Hochschule. 1900 trat er ins Ackerbaumin. ein, wo er Leiter des handelspolit. Dep. wurde. 1901 an der Wr. Univ. für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre habil., unterrichtete er ab 1905 an der Exportakad., 1906–08 als o. Prof. an der Hochschule für Bodenkultur in Wien und erhielt 1914 den Titel eines o. Univ.Prof. verliehen. 1908 kehrte er als Min.rat wieder ins Ackerbaumin. zurück, wurde 1909 Sektionschef und hielt als solcher ab 1915 dem Thronfolger Erzhg. Karl (s. Karl Franz Joseph) Vorträge über Staatsverwaltung. S. wurde im kurzlebigen Kabinett Clam-Martinic im Juni 1917 Ackerbaumin.; nach dessen Rücktritt griff K. Karl auf S., der bis dahin wenig polit. Erfahrung aufzuweisen hatte, als Kompromißkandidaten zurück. Dieser strebte nun eine Verfassungsreform unter Beibehaltung der Länder und Schaffung von national möglichst einheitl. Kreisen mit weitgehender Autonomie an. S., der sich auf wechselnde Mehrheiten, v. a. aber auf die CSP, stützte, konnte ein Budgetprovisorium beschließen lassen und 1918 Entwürfe über eine Verfassungsreform vorlegen. Er stand allerdings zunehmend in Konkurrenz zu Außenminister Ottokar Gf. Czernin (s. d.), dem eine autoritäre Regierungspraxis vorschwebte. Die bedenkl. Ernährungssituation konnte zwar auch durch den „Brotfrieden“ mit der Ukraine 1918 nicht wesentl. verbessert werden, dafür sorgten aber die in diesem Vertrag enthaltenen Gebietsabtretungen von Russ. Polen an die Ukraine dafür, daß S. die Unterstützung der poln. Abg. im Reichsrat verlor, sodaß er schließl. im Juli 1918 zurücktreten mußte. Kurz zuvor hatte er noch in Trautenau (Trutnov) ein erstes dt. Kreisgericht errichten hatte lassen, was bei den Tschechen Befürchtungen bezügl. einer Teilung Böhmens laut werden ließ. Gleich darauf zum Kabinettsdir. des K. ernannt, hatte S. im Herbst 1918 Anteil an dessen Versuchen, eine neue Verfassung für Österr. ausarbeiten zu lassen, die einer Friedenskonferenz noch vor dem Winter vorgelegt werden sollte. Doch bei jenem letzten Verzweiflungsschritt blieb S. zwar dem Herrscher gegenüber loyal, aber weiterhin zu sehr seiner dt.-zentralist. Haltung verhaftet. Wenige Tage vor dem Thronverzicht des K. trat S. i. d. R. Nach dem Umsturz wurde er Präs. des Wasserrechtsverbandes der Ind. und 1920 Präs. der Italo-Wr. Creditbank und widmete sich daneben seinem wiss. Werk. 1916 wurde S. in den Ritterstand erhoben.


Werke: Die Geldstrafe vom volkswirtschaftl. und sozialpolit. Gesichtspunkte, in: Jbb. für Nationalökonomie und Statistik, NF 20, 1890; Die Eisenbahntarife in ihren Beziehungen zur Handelspolitik, 1904 (gem. mit A. Freud); Das Wasserrecht und die Landwirtschaft, 1908; Österreichs Wasserwirtschaft in Vergangenheit und Zukunft, 1913; Die Neuen Wasserrechtsgesetze, 1914; Die sozialwiss. Erkenntnis, 1930; Dramen; etc.
Literatur: NFP, 17. 11. 1906 (Abendausg.), 24., 27. 1., 1. 2. 1931; RP, 3. 6. 1917; Die Presse, 5. 6. 1962; Jb. der Wr. Ges.; F. Reinöhl, Geschichte der k. u. k. Kabinettskanzlei (= MÖStA, Erg.bd. 7), 1963, s. Reg.; Ch. Kosnetter, Ministerpräs. Dr. E. Ritter v. S., phil. Diss. Wien, 1963; F. Ott – W. Wieser, in: 100 Jahre Landwirtschaftsmin., 1967, S. 86; 100 Jahre Hochschule für Bodenkultur, 1972, S. 81; Die Univ. für Bodenkultur Wien, ed. M. Welan, 1997, s. Reg.; P. Broucek, Karl I. (IV.), 1997, s. Reg. (mit Bild).
Autor: (P. Broucek)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 56, 2002), S. 131f.
geboren in Schwechat
gestorben in Wien

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