Seitz, Karl

Seitz Karl, Politiker. Geb. Wien, 4. 9. 1869; gest. ebd., 3. 2. 1950.

Sohn eines Holzhändlers. Nach dem frühen Tod des Vaters mußte S. die Grundschule im städt. Waisenhaus absolv. und begann mit vierzehn Jahren eine Schneiderlehre. Mit Unterstützung seines Förderers, des liberalen Wr. Gmd.rats Wilhelm Baecher, erhielt er schließl. einen Stipendiatenplatz im Lehrerkonvikt in St. Pölten. Bereits als Sprecher des Absolventenjg. 1888 setzte sich S. in Gegensatz zur konservativen Schulbehörde und wurde auch während seiner Tätigkeit an verschiedenen Wr. Volksschulen mehrmals gemaßregelt. 1895/96 war er Hrsg. der „Freien Lehrerstimme“ und initiierte 1896 die Gründung des sozialdemokrat. Zentralver. der Wr. Lehrerschaft, schloß sich der radikaldemokrat. Lehrervereinigung „Die Jungen“ an und arbeitete am ersten sozialdemokrat. Bildungsprogramm mit. 1901 wurde S. als einziger Sozialdemokrat in der dritten Wählerkurie in den Reichsrat gewählt, ein Jahr später zog er als einziger Vertreter seiner Partei in den nö. Landtag ein. 1907 wurde er sozialdemokrat. Fraktionsführer im Reichsrat und engster parlamentar. Mitarbeiter Viktor Adlers (s. d.). 1918 zunächst Vizepräs. des Abg.hauses des Reichsrats, wurde S. nach dem Ende der Monarchie einer der drei Präs. der Prov. Nationalversmlg. und danach 1919–20 Erster Präs. der Konstituierenden Nationalversmlg. Damit übernahm er bis 1920 zugleich die Funktion eines Präs. der Republik. 1920–34 (bis 1923 als 2. Präs.) war S. Abg. zum Nationalrat. Bereits Ende November 1918 war er Viktor Adler als Vors. der sozialdemokrat. Partei gefolgt, im November 1923 wurde er als Nachfolger Reumanns (s. d.) Wr. Bgm. In dieser Funktion initiierte S. ein weltweit anerkanntes und beispielhaftes kommunales Modernisierungsprojekt („Rotes Wien“), dessen wesentl. Säulen, gestützt auf die Finanzpolitik H. Breitners (s. d.), der soziale Wohnbau, die Gesundheits- und Fürsorgepolitik unter Julius Tandler sowie die Schulreform O. Glöckels (s. d.) bildeten. Am 12. Februar 1934 wurde S. in seinen Amtsräumen verhaftet und war bis Dezember inhaftiert. Das autoritäre Regime, das S. ohne Anklageerhebung gefangen hielt, mußte den Vorwurf des Hochverrats jedoch wegen Beweismangels fallenlassen. S., dessen Freilassung mit einer massiven Einschränkung seiner persönl. Freiheitsrechte verbunden war, begann als Zeichen des persönl. Widerstands mit Spaziergängen, auf denen er bei der Wr. Bevölkerung immer noch auf einige Resonanz stieß und die er auch nach 1938 fortsetzte. Unmittelbar nach dem „Anschluß“ wurde er für einige Tage in Gewahrsam genommen, verweigerte jedoch die ihm abverlangte Loyalitätserklärung. Wegen angebl., jedoch niemals nachgewiesener Mitarbeit in der Widerstandsbewegung um Stauffenberg wurde er in der Nacht des 20. Juli 1944 verhaftet, in das Berliner Zentralgefängnis Moabit und danach, trotz seines hohen Alters, in das KZ Ravensbrück überstellt. Anfang März 1945 wurde er nach Plaue (Thüringen) verbannt, wo er schließl., schwer krank und von der KZ-Haft gezeichnet, im Juni 1945 auf Initiative der Wr. Partei aufgefunden wurde. Nach seiner Rückkehr übernahm S. für kurze Zeit den Parteivorsitz, war ab 1945 Nationalratsabg. und schließl. Ehrenvors. seiner Partei. In dieser Funktion trat er immer wieder mit dramat. Appellen für Österr. Freiheit an die Vertreter der Alliierten heran.


Werke: Volksschule oder Pfaffenschule?, 1902; Die Schule in Pfaffenklauen (= Lichtstrahlen 10), 1904; Arbeiter oder Soldaten?, 1917; Krieg und Absolutismus. Friede und Recht, 1917; Die Schmach von Genf und die Republik, 1922; Sichert die Österr. Demokratie!, 1946; etc.
Literatur: Czeike; NÖB 12, S. 128ff.; F. Blaha, K. S., 1945; F. Czeike, Wien und seine Bgm., 1974, s. Reg. (mit Bild); R. Neck, in: Die österr. Bundespräs., 1982, S. 24ff. (mit Bild); R. Spitzer, K. S. (= Forschungen und Beitrr. zur Wr. Stadtgeschichte 25), 1994 (mit Bild); Archiv des Ver. für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien.
Autor: (W. Maderthaner)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 56, 2002), S. 146f.
geboren in Wien
gestorben in Wien

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