Selvatico, Pietro Estense

Selvatico Pietro Estense, Kunsthistoriker, Kunstkritiker und Architekt. Geb. Padua, Venetien (Padova, Italien), 27. 4. 1803; gest. ebd., 26. 2. 1880.

S. begann ein Jusstud. an der Univ. Padua, folgte dann aber seinen künstler. Interessen und belegte Malkurse bei Giovanni Demin und ein Architekturstud. bei Giuseppe Jappelli, dessen künstler. Einfluß v. a. in S.s bedeutendstem Werk, der Fassade der Kirche San Pietro in Trient (1848), zum Ausdruck kommt. In der Folge trat S. allerdings hauptsächl. als Kunsthistoriker und weniger als Architekt in Erscheinung. In den 50er Jahren wirkte er als Präs. und Prof. für Ästhetik an der Accad. di Belle Arti in Venedig, wo er gem. mit Cesare Foucard einen Kat. der wichtigsten Kunstdenkmäler Venetiens erstellte; mit seinen Reformvorschlägen konnte er sich jedoch innerhalb der Akad.nicht durchsetzen. 1856 folgte S. sein Schüler Camillo Boito auf diesem Lehrstuhl als Prof. nach und führte seine Vorstellungen in weiten Bereichen fort. S.s überregionale Bedeutung spiegelte sich sowohl in der Leitung der Restaurierungsarbeiten am Palazzo Pubblico in Piacenza (1863) als auch in der 1864 erfolgten Einladung zum Eintritt in die Komm. für die Gestaltung einer neuen Fassade der Kirche Santa Maria del Fiore in Florenz, für die er einen grundlegenden Entwurf erstellte. 1868–71 war er Vizepräs. der Komm. zur Bewahrung der öff. Gebäude in Padua und hielt an der dortigen Akad. eine Ser. von Vorlesungen, die sich themat. um die Wiederentdeckung des Mittelalters zentrierte. S., dessen publizist. Aktivität bereits in den 20er Jahren ihren Anfang nahm, übernahm um 1840 die Red. der künstler. Rubrik der Z. „Rivista Europea“, in der er primär Themen aus dem Bereich weltl. und religiöser Architektur behandelte. Inspiriert von Leo v. Klenze, für den er ein urbanes Ausbauprogramm für München plante, entwickelte sich S. zum ersten und bedeutendsten Theoretiker des Eklektizismus in Italien. In „Sulla architettura e sulla scultura a Venezia“ (1847) unternimmt S., ausgehend vom Neoklassizismus des 18. Jh. und in Anlehnung an den „Funktionalismus“ von Tommaso Temanza, den Versuch, die Architektur des 14. Jh. wieder aufzuwerten. Angeregt durch seine Verbindungen zu den bedeutendsten Theoretikern seiner Zeit, projektierte S. eine Ausbildungsstätte für Lehrlinge in kunsthandwerkl. Berufen, die später von der Gmd. Padua realisiert wurde und als Vorbild bei der Reform der Akad. in Venedig diente. 1869 arbeitete S. auf Einladung des Bildungsministers in Rom in einer Komm., in der er sich sowohl für eine Neustrukturierung der Akad. als auch für die Einrichtung von Höheren Schulen für Architektur einsetzte und dadurch seine Überzeugung zur Förderung der techn. Schulen nach dem Modell der Gewerbeschulen in England und Dtld. bekräftigte. Während er in „Scritti d’arte“ (1859) wichtige Beitrr. über Purismus, Symbolismus in der religiösen Architektur des Mittelalters und die zeitgenöss. Malerei veröff., betont sein 1865 erschienener Aufsatz „Delle arti belle in relazione di Dante“ die Bedeutung und den Einfluß der „Divina Commedia“ in der bildenden Kunst. In seinen letzten Lebensjahren, die durch eine zunehmende Verschlechterung seiner Sehkraft geprägt waren, wurde allerdings sein Ansehen, u. a. durch Boito, gemindert.


Werke: Hochaltar, 1850 (San Giambattista, Mezzolombardo); Pläne für die Errichtung der Kapelle der Schwarzen Madonna (Sant’Antonio, Padua); etc. – Publ.: Sulla architettura civile e religiosa pensieri, 1840; Sull’educazione del pittore storico odierno Italiano, 1842; Storia estetico-critica delle arti del disegno, 2 Bde., 1852–56; Monumenti artistici e storici delle provincie Venete, 1859 (gem. mit C. Foucard); Arte ed artisti ..., 1863; L’arte nella vita degli artisti, 1870; Le arti del disegno in Italia, 2 Bde., 1883; etc.
Literatur: Thieme–Becker; Wurzbach; G. Cittadella-Vigodarzere, P. S. nell’arte, 1884; N. Gallimberti, in: Bollettino del Mus. Civico di Padova 26, 1933, S. 156ff.; Dizionario enciclopedico italiano 11, 1960; Dizionario Enciclopedico di Architettura e Urbanistica 5, 1969; F. Bernabei, P. S. nella critica e nella storia delle arti figurative dell’Ottocento, 1974; Grande dizionario enciclopedico UTET 18, 1990; The Dictionary of Art 28, 1996; P. Fantelli, Rilievi di antiche fabbriche padovane, 1997; F. Bernabei, in: Padova e il suo territorio 13, 1998, S. 54ff.; T. Serena, in: Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa 4, 1999, S. 75ff.
Autor: (M. Lorber)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 56, 2002), S. 162f.
geboren in Padua
gestorben in Padua

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