Schulhoff, Erwin

Schulhoff Erwin (Ervín Gustavovic), Ps. Hanuš Petr, Georg Hanell, Eman Balzar, Franta Michálek, Jan Kaláb, Pianist und Komponist. Geb. Prag, Böhmen (Praha, Tschechien), 8. 6. 1894; gest. KZ Wülzburg (Deutschland), 18. 8. 1942.

Urgroßneffe von Julius Schulhoff (s. d.); mos. S. stud. auf Anraten Dvoráks (s. d.) 1904–06 Klavier am Prager Konservatorium (bei Kaan v. Albest, s. d.) und trat bereits mit zwölf Jahren als Pianist am Neuen dt. Theater in Prag auf. Bis 1908 setzte er sein Klavierstud. am Horak’-schen Konservatorium in Wien bei Willi Thern fort, der seiner späteren techn. Brillanz eine feste Basis gab. 1908–09 stud. S. am Leipziger Konservatorium Klavier bei Robert Teichmüller, kurze Zeit Komposition bei Max Reger; 1910 unternahm er seine erste Konzertreise in Deutschland. 1911 begann S. ein Tagebuch zu führen, das ihn fast bis zum Ende seines Lebens begleitete und eine wertvolle biograph. Quelle darstellt. 1911–13 stud. er am Kölner Konservatorium, 1912 lernte er in Paris Debussy kennen. Zweimal errang S. den Mendelssohn-Preis an der Berliner Hochschule für Musik (1913 für Klavierspiel, 1918 für Komposition). Im Ersten Weltkrieg diente S. in der österr.-ung. Armee (Ostfront, Italien). 1919–23 lebte er in Deutschland, wo er in Berlin, Saarbrücken und Dresden enge Beziehungen zur Dada-Bewegung unterhielt und 1919–20 in Dresden eine Konzertreihe „Werkstatt der Zeit“ organisierte, die die Musik der Zweiten Wr. Schule propagieren sollte. Ab 1923 als Klavierlehrer in Prag seßhaft, beteiligte sich S. mit Alois Hába und Erich Steinhard sehr aktiv an der Arbeit der Tschechoslowak. Sektion der Internationalen Ges. für neue Musik (IGNM); seine Kompositionen errangen große Erfolge bei den internationalen Festivals der IGNM. Mehrere Jahre arbeitete er auch für den Rundfunk (1927–35 Prag, 1935–38 Mähr. Ostrau/Ostrava, 1939 Brünn/Brno), wobei er ca. 200 Solound Kammerkonzerte und ca. 100 Jazz-Improvisationen in Direktübertragungen absolv. Seit dem Beginn der 30er Jahre in der kommunist. Bewegung engagiert, besuchte S. 1933 mit einer Gruppe linksorientierter tschech. und dt. Prager Künstler Moskau; 1941 erhielt S., der in die UdSSR zu emigrieren beabsichtigte, die sowjet. Staatsbürgerschaft. Am 23. 6. 1941, einen Tag nach dem Überfall Deutschlands auf die UdSSR, wurde S. in Prag verhaftet und in das KZ Wülzburg deportiert, wo er den Tod fand. S. war ein Pianist mit ao. techn. Fähigkeiten und phänomenalem Gedächtnis, wobei die neueste Musik den wesentl. Tl. seines überaus umfangreichen Repertoires umfaßte. Seine bedeutendsten Partner in der Kammermusik waren die tschech. Violinistin Ervína Brokešová (1924–34), der französ. Flötist René le Roy (nach 1927) und der tschech. Pianist Oldrich Letfus (ab 1931 im Jazz-Duo). 1925 spielte S. in Prag das erste öff. Konzert auf dem von Hába entworfenen Vierteltonklavier. In seinem eigenen kompositor. Schaffen verarbeitete er die wichtigsten Anregungen der Musik seiner Zeit (Jazz, Neoklassik, Folklore, Groteske, Motorik).


Werke: W. (s. u. bei J. Bek, E. S.): Flammen, 1929 (Oper); H. M. S. Royal Oak, 1930 (Jazzoratorium); Das Manifest, 1932 (Kantate); Werke für Singstimme und Kammerorchester; Lieder; Ballette; Bühnenmusiken; 6 Symphonien; weitere Orchesterwerke; Instrumentalkonzerte; Kammermusik; Klavierwerke (u. a. 3 Klaviersonaten, 1924, 1926, 1927); zahlreiche Bearb. alter Musik und von Volksliedern; usw. Aufsätze in Z., u. a. in Der Auftakt, Neue Musikztg., Národní a Stavovské divadlo, Musikbll. des Anbruch, Ceská hudba, Pult und Taktstock, ges. als: E. S. Schriften, hrsg. und kommentiert von T. Widmaier, 1995. – Nachlaß, Muz. ceské hudby, Praha, Tschechien.
Literatur: W. Labhart, in: Neue Zürcher Ztg., 4. 8. 1982; Cernušák–Štedron–Novácek; Enc. Jud.; Grove, 1980; MGG; Riemann, 12. Aufl.; V. Gregor, in: Ostrava 2, 1964, S. 82ff.; J. Kotek, Kronika ceské synkopy 1: 1903–38, 1973, s. Reg.; Dejiny ceské hudební kultury 2: 1918–45, 1981, s. Reg.; J. Bek, in: Beitrr. zur Musikwiss. 24, 1982, S. 112ff.; G. Nauck, in: Musik und Ges. 33, 1983, S. 149f.; J. Bek, Avantgarda, 1984, s. Reg.; O. Pukl, Konstanty, dominanty a varianty Schulhoffova skladebného stylu, 1986; F. Streller, in: Stud. zur Berliner Musikgeschichte, 1989, S. 313ff.; T. Widmaier, in: Neue Z. für Musik 152, 1991, H. 11, S. 5ff.; J. Bek, in: Die Bühne, 1991, n. 12, S. 124f.; ders., in: Musik in Theresienstadt, hrsg. von H. T. Hoffmann und H.-G. Klein (= Verdrängte Musik 1), 1991, S. 44ff.; ders., in: Komponisten der Gegenwart, hrsg. von H.-W. Heister und W.-W. Sparrer, 1992; W. Labhart, in: Dissonanz, 1992, n. 33, S. 4ff.; E. S. Kolloquium in Köln, 7. 10. 1992, hrsg. von G. Eberle (= Verdrängte Musik 5), 1993; T. Widmaier, in: Neue Z. für Musik 155, 1994, H. 3, S. 15ff.; Fono Forum, 1994, H. 6, S. 34ff. (mit Diskographie); J. Bek, E. S. Leben und Werk (= Verdrängte Musik 8), 1994 (mit kommentiertem Werksverzeichnis); Lex. zeitgenöss. Musik aus Österr., hrsg. von B. Günther, 1997 (mit Literaturverzeichnis).
Autor: (J. Ludvová)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 11 (Lfg. 53, 1998), S. 322f.
geboren in Prag
gestorben in Lager Wülzburg

Lifeline