Schneller, Julius Franz Borgias

Schneller (Schnöller) Julius Franz Borgias, Taufname Franz Ludwig Borgias, Ps. Friedrich Hain, Julius Velox, Historiker und Dichter. Geb. Straßburg (Strasbourg, Frankreich), 3. 3. 1777; gest. Freiburg i. Breisgau, Baden (Deutschland), 12. 5. 1833.

Sohn eines Prof. für röm. Recht an der Univ. Freiburg i. Br. und einer Mutter französ. Abstammung. Stud. 1791–95 an der phil. Fak., ab 1794 an der jurid. Fak. der Univ. Freiburg i. Br., wo er sich neben der Rechtswiss. v. a. der Mathematik, Geschichte und der klass. Philol. widmete und zeitweise sogar die Lehrkanzel für Mathematik suppl. Wegen seiner Aktivitäten im Freiburger Freiwilligenkorps gegen die Franzosen mußte er nach dem Fall der Stadt 1796 diese verlassen und absolv. die beiden letzten Jgg. des Jusstud. 1796–98 an der Univ. Wien. Dort wirkte er auch als Erzieher, u. a. bei den Gf. Sinzendorf. Ab 1804 beim Bücherrevisionsamt (Zensur) angestellt, kam er 1805 als Prof. für Weltgeschichte und Österr. Geschichte an das Lyzeum Linz, 1806 in gleicher Eigenschaft an das Lyzeum Graz, wurde dort 1823 zum Dr. phil. prom. und übernahm noch im selben Jahr die Professur für Phil. und Geschichte an der Univ. Freiburg i. Br., wo er in der Folge mehrmals Dekan sowie 1829, 1832 und 1833 Prorektor war. S., in Linz Lehrer Josef v. Spauns und dem Freundeskreis um Franz Schubert sowie Moritz v. Schwind zugehörig gewesen, sammelte in Graz rasch einen größeren Hörerkreis um sich, trotzdem erfüllte er die in der Stmk. in ihn gesetzten wiss. Erwartungen nicht: seine essayist. aufgelöste österr. Staatengeschichte hielt man als Lehrbuch für ungeeignet, seine Weltgeschichte als zu poet. dargestellt. Schon ab 1810 in Schwierigkeiten mit der Zensur geraten, wurde er 1817 in Zusammenhang mit der Drucklegung des Schlußteils der Staatengeschichte zum Mittelpunkt einer der auffälligsten Zensuraffären der Zeit. Als S., ein Bewunderer Josephs II., aber auch Napoleons I., mit Louis Napoleon, der sich nach seinem Thronverzicht in Holland 1810–13 in Graz aufhielt, in regelmäßigen Verkehr trat, veranlaßte er damit seine ständige Überwachung durch die Behörden. Seine eklektizist., deist. und vergleichsweise liberale Auffassung erregte in Österr. Anstoß, 1813/14 wurde er wegen „Freigeisterei“ angezeigt, 1818 seine Lehrtätigkeit durch einen Regierungskoär. überprüft. Im liberalen Freiburg hingegen, wo er schon wegen seiner zu pathet. Antrittsvorlesung angegriffen worden war, galt er als zu konservativ, zu einer neuerl. von ihm angestrebten Ortsveränderung kam es aber nicht mehr. Er publ. dort weiterhin zur österr. Geschichte und beschäftigte sich auch mit Zeitgeschichte. S. veröff. zudem dichter. Werke und behandelte u. a. in seinem Sonettenkranz „Weiblichkeit“ einen später von Adalbert v. Chamisso behandelten Stoff. S., verehel. mit der Stiefmutter seines bekanntesten Schülers, A. Gf. Prokesch v. Osten (s. d.), war Ehrenbürger von Linz und Graz sowie ab 1830 großherzogl. bad. HR. Er beeinflußte wesentl. das gesellschaftl. und künstler. Leben von Graz, bearb. als erster, noch vorf. Kurz (s. d.), systemat. die Geschichte der österr. Länder und nahm die später vonf. Krones v. Marchland (s. d.) verwendete Disposition vorweg, indem er die Geschichte der Einzelländer bis zu deren Vereinigung mit Österr. gesondert, dann im Gesamtverband verfolgte.


Werke: Vitellia (Trauerspiel, aufgef. Hofburgtheater, Wien 1804); Weltgeschichte . . ., 4 Bde., 1808–13, 2. Aufl., 6 Tle. ( = S.s hinterlassene Werke 11–16), 1842; Staatengeschichte des Kaiserthums Oesterr . . . ., 4 Bde., 1817–19, 2. Aufl., Bd. 4 in 3 Tle. ( = ebenda, 5–10), 1837–41; Weiblichkeit, 1821, Neuaufl. vor 1885 (Sonette); Ueber den Zusammenhang der Phil. mit der Weltgeschichte, 1824 (Antrittsrede in Freiburg i. Br.); Geschichte von Böhmen, 3 Bde., 1827; Geschichte von Oestrreich und Stmk., 4 Bde., 1828; Geschichte der Menschheit . . ., 2 Bde., 1828; Der Mensch und Die Geschichte, 3 Bde., 1828, Neuausg. 1841; Oesterr. Einfluß auf Deutschland und Europa . . ., 2 Bde., 1828–29; Die Geschichte Ungarns, 3 Bde., 1829–33; Geschichte des Weltlaufes und Zeitgeistes, 3 Bde., 1830–34; S. s hinterlassene Werke, hrsg. von E. Münch, 16 Bde., 1834–42 (darin u. a. Lebenslauf und Briefe an Gattin und Freunde, Briefwechsel mit Prokesch, Ideen über Literatur und Kunst . . ., Ansichten über Phil., Geschichte, Politik usw.); Jetzt! Taschenbuch der Zeitgeschichte für 1832, 3 Bde., o. J.; J. S. s Briefe an M. Koschak-Pachler, hrsg. von H. Lohberger, in: Bll. für Heimatkde. 48, 1974; usw. Übers.:f.-R. Chateaubriand, Geist des Christentums (Extraits du Genie du Christianisme. . .), 5 Bde., 1827–32.
Literatur: L.:f. Engel-Janosi, in: MIÖG 49, 1935, S. 397ff.; A. Posch, in: Z. des Hist. Ver. für Stmk. 48, 1957, S. 3ff.; H. Lohberger, in: Bll. für Heimatkde. 48, 1974, S. 35f.; D. W. Kosch, in: Z. des Hist. Ver. für Stmk. 67, 1976, S. 31f.; ADB; Giebisch–Gugitz; Goedeke, s. Reg.; Graeffer–Czikann; Kosch; Nagl– Zeidler–Castle 2, S. 933f.; Wurzbach; K. Zell, Gedächtnisschrift auff. J. S. . . ., 1834; Neuer Nekrolog der Dt. 11, 1835; A. Schlossar, Erzhg. Johann v. Oesterr. . . ., 1878, S. 231ff.; Bad. Biographien, hrsg. vonf. v. Weech, 2, 1881; A. Schlossar, 100 Jahre dt. Dichtung in Stmk. 1785–1885 ( = Österr.-Bibl. 2), 2. Aufl. 1898, S. 37ff.; V. Bibl, Der Zerfall Österr. 1, 1922, S. 277ff.; H. Ritter v. Srbik, Metternich 1, 1925, S. 512f.; A. Feix, J. S., phil. Diss. Wien, 1925; O. Koller, J.f. S., phil. Diss. Wien, 1949 (mit tw. Werksverzeichnis); H. Ritter v. Srbik, Geist und Geschichte vom dt. Humanismus bis zur Gegenwart 1, (1950), S. 229; J. Schmidt, Linzer Kunstchronik 2, 1951, S. 172, 177f.; St. P. Barta, Die polit. verfolgten Prof. des österr. Vormärz, phil. Diss. Wien, 1966, S. 81ff.; O. Koller, J.f. S. ( = Kleine Schriften zur Geschichte, Literatur und Volkskde. der innerösterr. Alpenländer 5), 1966 (mit Bild); W. Höflechner, Das Fach Geschichte an der Univ. Graz 1729–1848 ( = Publ. aus dem Archiv der Univ. Graz 3), 1975, s. Reg., bes. S. 17ff.; Bedeutende Grazer im Porträt, hrsg. von W. Steinböck, 1977, S. 36; AVA Wien; UA Graz, Stmk.
Autor: (W. Höflechner)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 10 (Lfg. 50, 1994), S. 397f.
geboren in Straßburg
gestorben in Freiburg im Breisgau
war o. Professor Albert-Ludwigs-Universität Freiburg 1823

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