Schmidl, Marianne

Schmidl (Schmiedl) (Theresie) Marianne, Völkerkundlerin und Bibliothekarin. Geb. Berchtesgaden, Bayern (Deutschland), 3. 8. 1890; gest. vor 9. 5. 1945 (amtl. Todeserklärung vom 12. 5. 1950). Jüd.

Herkunft, Tochter eines Wr. Hof- und Gerichtsadvokaten; evang. AB. Absolv. die unteren Gymn.Kl. am Schwarzwaldschen Mädchengymn. in Wien, die weiteren Jgg. in Graz. Ab 1910 stud. sie an der Univ. Wien Mathematik und Physik, u. a. bei F. Exner (s. d.) sowie Wilhelm Wirtinger, ab 1913 Ethnographie, Anthropol., Urgeschichte sowie Volkskde., v. a. bei R. Pöch, M. Hoernes und M. Haberlandt (alle s. d.); 1916 Dr. phil. Noch während ihrer Stud.Zeitein Jahr Volontärin am Österr. Mus. für Volkskde., arbeitete sie 1916/17 an der Afrikan. Abt. des Mus. für Länder- und Völkerkde, in Berlin, 1917–20 als Ass. am Lindenmus. in Stuttgart, nach der durch eine Personalreduktion bedingten Entlassung am Mus. für Kunst und Kunstgewerbe in Weimar. 1921 trat sie als Hospitantin in den Dienst der Österr. Nationalbibl., wurde in den Beamtenstand übernommen und 1938 zum Staatsbibliothekar 1. Kl. ernannt, noch im selben Jahr aber, schon lange schwer zuckerkrank, pensioniert. Im April 1942 wurde sie in das Lager Izbica (Polen) deportiert, von wo aus sie einen Monat später letzte Nachricht gab. Aus der von Pöch aufgebauten Anthropolog.-ethnograph. Schule hervorgegangen, wurde sie als erste Frau Österr. in ihrer Disziplin prom. und erwarb sich, seit 1914 Mitgl. der Anthropolog. Ges. in Wien, die Wertschätzung ihres Lehrers, der ihr einen Tl. seines wiss. Nachlasses anvertraute. Publizist. widmete sie sich schon in ihrer Stud.Zeit der Volks-, später yornehml. der Völkerkde. und betreute dieses Fach neben anderen wiss. Sparten als Referentin an der Österr. Nationalbibl. 1929 beschloß sie gem. mit Walter Hirschberg und Robert Routil die Begründung eines Afrika-Archivs, ein Gedanke, der im Folgejahr mit der Wr. Arbeitsgemeinschaft für Afrikan. Kulturgeschichte Verwirklichung fand, in deren Rahmen als Erg. zu der in Wien herrschenden Kulturkreislehre die Erarbeitung von Stammesgeschichten erfolgen sollte. S. zog sich jedoch bald wegen Differenzen bezügl. der Methodik zurück und die Arbeitsgemeinschaft löste sich schon 1932 auf. Erst Jahrzehnte später wurden die von S. und deren Kollegen vertretenen Intentionen wieder aufgegriffen, nämlich 1962 als Lehrmeinung durch Walter Hirschberg sowie mit der 1970 erfolgten Begründung der Wr. Ethnohist. Bll. durch Karl Rudolf Wernhart.


Werke: Flachs-Bau und Flachs-Bereitung in Umhausen, in: Z. für österr. Volkskde. 19, 1913; Zahl und Zählen in Afrika, in: Mitt. der Anthropolog. Ges. in Wien 45, 1915 (Diss.); Beitrr. zur Kenntnis der Trachten in Südost-Bulgarien, in: Wr. Z. für Volkskde. 30 1924; Das Verhältnis von Form und Technik bei der Übertragung afrikan. Flechtarbeiten, in: Mitt. der Anthropolog. Ges. in Wien 57, 1927; Altägypt. Techniken an afrikan. Spiralwulstkörben, in: FS . . . P. W. Schmidt, hrsg. von W. Koppers, 1928; Die Mondkönige in Ostafrika, in: Congrès de l’Inst. International des Langues et Civilisations Africaines, 1931; Die Grundlagen der Nilotenkultur, in: Mitt. der Anthropolog. Ges. in Wien 65, 1935, auch selbständig; usw.
Literatur: W. Hirschberg, in: Wr. Ethnohist. Bll. 13, 1977, S. 3f., 6, 24; ders., in: Ethnol. heute ( = Wr. Beitrr. zur Ethnol. und Anthropol. 2), 1985, S. 17, 26; H. Fischer, Völkerkde, im Nationalsozialismus ( = Hamburger Beitrr. zur Wiss.Geschichte 7), 1990, s. Reg. und S. 242; R. Kullik, Frauen „gehen fremd“: Eine Wiss. Geschichte der Wegbereiterinnen der dt. Ethnol. ( = Mundus R. Ethnol. 40), 1990, S. 64, 70, 101; Allg. Verw.A., Wr. Stadt- und LA, beide Wien; Fachbereich Orientalistik und Afrikanistik, Univ. Leipzig, Deutschland; Mitt. K. R. Wernhart, Wien.
Autor: (F. Hillbrand-Grill)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 10 (Lfg. 49, 1993), S. 325
geboren in Berchtesgaden
gestorben in Berchtesgaden

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