Schlesinger, Karl

Schlesinger Karl, Nationalökonom und Bankier. Geb. Budapest (Ungarn), 19. 1. 1889; gest. Wien, 12. 3. 1938 (Selbstmord).

Aus einer jüd. Familie stammend, Sohn des Bankmannes und Finanziers Michael S., Enkel des Bankiers Sigmund Gold (1831–1919); trat bereits als junger Mann mit seinem Werk über die „Theorie der Geld- und Kreditwirtschaft“ hervor. Mathemat. ausgerichtet, traf es bei den einzigen theoret. interessierten akadem. Ökonomen der Zeit, jenen der österr. Schule, auf wenig Beachtung. Er erklärt darin die höhere oder niedrigere Kassenhaltung der Teilnehmer am Wirtschaftskreislauf tw. als Versicherung gegen Verluste durch Bargeldmangel und stellt den Zinsverlust dem Versicherungsgewinn gegenüber. Seine Erklärung der Gesamtnachfrage nach Geld, die den Bedarf für die laufenden Transaktionen von der Vorsorgenachfrage trennt, ist prakt, ident mit der späteren von dem engl. Ökonomen John Maynard Keynes. Während des Ersten Weltkriegs formulierte S. eine Theorie der Kaufkraftparität (1916). Wegen der kommunist. Revolution verließ S. 1919 Budapest und zog nach Wien. Auch hier schlug er nicht die akadem. Laufbahn ein, sondern blieb ein wohlhabender, in der Ind.- und Bankverwaltung tätiger Praktiker. Seine theoret. Interessen machten ihn aber zu einem geschätzten Mitgl. der 1926 gegründeten Nationalökonom. Ges. und von K. Mengers (s. d.) Mathemat. Kolloquium. Im Gegensatz zu seiner erst später wiederentdeckten Geldtheorie ist sein Beitrag zur Walrasschen Theorie des allg. ökonom. Gleichgewichts, vermittelt durch den österr. Mathematiker Abraham Wald, bei dem S. Mathematikunterricht nahm und der S.s Ideen mathemat. weiterentwickelte, für die Entwicklung der ökonom. Theorie fruchtbar geworden. Er ergänzt den Ansatz von Marie Esprit Léon Walras durch die Berücksichtigung von Gütern, die nicht knapp sind und denen daher der Preis Null zukommt. Erst dadurch wird, so vermutete S., das Gleichungssystem der Gleichgewichtstheorie in allen prakt. Fällen lösbar, eine Vermutung, die von Wald dann auch bewiesen werden konnte. S. erschoß sich am Tag des Einmarsches der dt. Truppen.


Werke: Theorie der Geld- und Kreditwirtschaft, 1914; Die Veränderungen des Geldwertes im Kriege, in: Z. für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung 25, 1916; Über die Produktionsgleichungen der ökonom. Wertlehre, in: Ergebnisse eines mathemat. Kolloquiums, hrsg. von K. Menger, 6, 1935; zahlreiche Beitrr. in Fachz.
Literatur: N. Fr. Pr. vom 13. 3. 1938; E. R. Weintraub, in: Journal of Economic Literature 21, 1983, bes. S. 9ff.; Enc. Jud.; V. F. Wagner, Geschichte der Kredittheorien, 1937, s. Reg.; D. Patinkin, Money, Interest and Prices, 2. Aufl. 1965; International enc. of the social sciences, hrsg. von D. L. Sills, 14, 1968; K. Menger, in: Carl Menger and the Austrian School of Economics, hrsg. von J. R. Hicks und W. Weber, 1973, S. 47ff.; K. Nagatani, Monetary Theory, 1978; Vertriebene Vernunft 1–2, hrsg. von F. Stadler, 1987–88, s. Reg.; The New Palgrave, A Dictionary of Economics, 1987; Mitt. A. Lenard, Bloomington, Ind., USA.
Autor: (P. P. Sint)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 10 (Lfg. 48, 1992), S. 193f.
geboren in Budapest
gestorben in Wien

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