Scheiner, Josef

Scheiner Josef, Vereinsfunktionär, Advokat und Offizier. * Beneschau (Benešov, Böhmen), 21. 9. 1861; † Prag, 11. 1. 1932.

Sohn eines Advokaten; stud. Jus an der Tschech. Univ. Prag, 1889 Dr. jur.; eröffnete 1894 eine eigene Anwaltskanzlei, 1879 Mitgl. des Prager Sokol, des ersten und stärksten, anfangs tschech.-nationalen, später panslawist. Turnerverbandes sowie als Schüler des Mitbegründers, M. Tyrš, in der Folge dessen engster Mitarbeiter. 1898–1932 war S. Obmann des Mutterverbandes der Prager Sokolgemeinde. Um Verbindungen mit dem nichtdt. Ausland bemüht, trat S. 1888 in Verbindung zu den französ. Turnervereinigungen und organisierte eine Besuchsreise des Verbandes nach Paris. 1908 in Prag, schuf er im Zuge des Slawenkongresses den Slaw. Sokolverband und führte 1909 die erste Sokoldelegation in die USA. 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, suchte er polit. Kontakte zu Rußland; er hatte zwar keinen Erfolg, blieb aber trotzdem stets russophil. 1915 wurde er verhaftet und nach Wien gebracht. 1916 wieder entlassen, agierte er im polit. Geheimbund Maffia für die Förderung des Umsturzgedankens gegen die Österr.-ung. Monarchie und organisierte als Mitgl. des Národní výbor (Nationalausschuß) geschickt die Vorbereitungen für den Umsturz von 1918. Sogleich zum Oberkmdt. der fakt. nicht existierenden Streitkräfte ernannt, besetzte er das Korpskmdo. in Prag und richtete mit Freiwilligen-Wachformationen den Schutz militär. Objekte auf dem neuen Staatsgebiet ein. Auch die ersten Einheiten zur Besetzung der Slowakei stellte S. auf und wurde der erste Gen.Truppeninsp. der sich allmählich formierenden tschechoslowak. Armee. Beide Funktionen legte er 1919 als Nichtsoldat nieder und widmete sich wieder ganz der Führung des Sokolverbandes, der schließlich über
750.000 Mitgl. umfaßte, die überwiegend dem Bürgertum angehörten. Zudem war S. an der Gründung aller wichtigen tschech. nationalen und kulturellen Organisationen seiner Zeit aktiv beteiligt, wie z. B. des Ceské srdce (Tschech. Herz) für die Betreuung der Auslandstschechen. 1924 gründete er den Slaw. Sokolverband, der die Tschechoslowakei, Jugoslawien und Polen erfaßte, neu. Sein Bemühen, der nationalen Sokolbewegung eine überparteiliche Position zu sichern, hatte ihn veranlaßt, sich von anfänglichen parteipolit. Bindungen (Jungtschechen, Nationaldemokrat. Partei) völlig zurückzuziehen.


Werke: Dejiny Sokolstva v prvém jeho petadvacetiletí (Geschichte des Sokol in seinen ersten 25 Jahren), 1887; Telesná cvicení ve starém veku (Geschichte der Leibesübungen im Altertum) ( - Dejiny cvicení telesných 1), 1891; Abhh. in Fachz., u. a. in Právník, Právnické rozhledy; etc. Hrsg.: Pochodvé písne ku výletum Sokolským (Marschlieder der Sokolturner), 1885; Úvahy a reci Dr. M. Tyrše (Dr. M. Tyrš, Gedanken und Reden), 2 Bde., 1894. Red.: Sokol, 1887ff.
Literatur: Neues Wr. Tagbl. vom 11. 1. 1932; K. Weigner, in: Prager Rundschau 2, 1932, S. 87ff.; Masaryk; Otto; Otto, Erg.Bd. V/2; T. G. Masaryk, Die Weltrevolution. Erinnerungen und Betrachtungen 1914–18, 1925, S. 13ff.; M. Navrátil, Almanach ceskoslovenských právníku, 1930; A. Krejcí, Dr. J. S., 1932; M. Paulova, Dejiny M affie 1/3, 1937, S. 443ff., 2, 1937, S. 266ff.; E. Schaedler, Die polit. Leibeserziehung im Sokol, phil. Diss. Wien, 1944, S. 7ff., 14, 67; M. Paulová, Tajný výbor (MAFFIE) a spolupráce s Jihoslovany v letech 1916–18, 1968, s. Reg.; M. Glettler, Sokol und Arbeiterturnver. (D. T. J.) der Wr. Tschechen bis 1914 ( = Veröff. des Collegium Carolinum 23), 1970, S. 83; K. M. Brousek, Die Wr. Tschechen zwischen den beiden Weltkriegen unter besonderer Berücksichtigung des Turnver. „Sokol“, phil. Diss. Wien, 1977, S. 195f., 226, 235, 247, 252. 266, 392.
Autor: (W. Hummelberger)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 10 (Lfg. 46, 1990), S. 68f.
geboren in Benešov
gestorben in Prag

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