Nothnagel, Hermann

Nothnagel Hermann, Internist. * Alt-Lietzegöricke (Stare Lysogórki, Brandenburg), 28. 9. 1841; † Wien, 7. 7. 1905.

Sohn eines Arztes; absolv. sein Med. Stud. im med.-chirurg. Friedrich Wilhelm-Inst. in der Pépinière in Berlin, 1863 Dr. med. Er folgte seiner militärärztlichen Dienstpflicht als Unterarzt in der Charité unter Traube (der nachhaltigen Einfluß auf seine wiss. Entwicklung gewann) und Virchow. 1865 wurde er als Ass. Leydens in Königsberg freigestellt und habil. sich dort 1866 für innere Med. Im Österr.-preuss. Krieg war N. als Assistenzarzt in einem Lazarett in Trautenau eingesetzt. Er kehrte nach Kriegsende nach Königsberg zurück und wurde 1868 nach Berlin, 1870 nach Breslau kommandiert. Im Dt.-französ. Krieg arbeitete er als Stabsarzt in Lazaretten in Luneville und Chalons-sur-Marne. 1872 folgte er einem Ruf als Prof. der Arzneimittellehre und der med. Klinik nach Freiburg i. Br., 1874 als Prof. für spezielle Pathol. und Therapie nach Jena, 1882 als Vorstand der I. med. Klinik nach Wien. Im Auftrage seines Lehrers Traube schrieb N. eine Arzneimittellehre, die für Jahrzehnte Bedeutung behalten sollte. Seine bevorzugte Arbeitsrichtung wurde aber doch die Neurol. Tierexperimente halfen ihm bei der Aufdeckung von Störungen der Funktion und Koordination bei Verletzungen und Erkrankungen des Gehirns. Er fand einen eigenen Laufknoten im Corpus caudatum. Neben der funktionellen, durch Tierversuche gewonnenen Diagnostik vernachlässigte er jedoch nicht die anatom. Diagnostik: die patholog.-anatom. sichtbare Läsion blieb ihm die Grundlage der Symptomatik. In seiner „Topischen Diagnostik der Gehirnkrankheiten“, die von seinen Zeitgenossen mit höchstem Lob bedacht wurde, definierte er das obere Syndrom des Nucleus ruber, einen neurolog. Symptomenkomplex bei Tumoren der Vierhügelgegend. Dem Formenkreis der Epilepsie galt immer wieder seine Aufmerksamkeit. N. leistete auch auf anderen Gebieten Pionierarbeit. Er umriß als erster das Krankheitsbild der Angina pectoris vasomotorica, bei der er den Schmerz als einen Spasmus der Herzkranzgefäße erkannte, er ging den Ursachen der Arhythmien nach, die Akroparästhesie trägt seinen Namen. Wesentliche Aufmerksamkeit widmete N. in seiner Wr. Zeit den Erkrankungen des Darmes und des Peritoneums. Er beschrieb das Bacterium subtilis und das Bacterium butyrcus und nahm an, daß die Darmbakterien Gärungsvorgänge der im Darm vorhandenen Nahrungsmittel veranlassen. Andere Untersuchungen galten dem Mechanismus der Darmperistaltik. Er erkannte die fettige Degeneration der Darmmuskulatur als eigenes Krankheitsbild und beschrieb die Colitis membranacea. Er sah Zusammenhänge zwischen der zirrhot. Verkleinerung des Magens und der perniziösen Anämie. Der Addisonschen Krankheit galten experimentelle Untersuchungen. N., einer der bedeutendsten Internisten seiner Zeit, war auch ein hervorragender Lehrer. Vielfach geehrt und ausgezeichnet, u. a. 1905 Mitgl. der Akad. der Wiss. in Wien.


Werke: Hdb. der Arzneimittellehre, 1870, 7. Aufl., gem. mit M. J. Rossbach, 1894, auch französ., italien., portugies., russ.; Über den epilept. Anfall, in: Smlg. klin. Vorträge, 1872; Experimentelle Untersuchungen über die Funktion des Gehirns, 6 Abhh., in: Archiv für patholog. Anatomie und Physiol. und für klin. Med., 1873–76; Über die Diagnose und Aetiol. der einseitigen Lungenschrumpfung, ebenda, 1874; Epilepsie und Eklampsie, in: Hdb. der speciellen Pathol. und Therapie, Bd. 12, Tl. 2, hrsg. von H. v. Ziemssen, 1875; Über Neuritis in diagnost. und patholog. Beziehung, ebenda, Bd. 11, 1876; Zirrhot. Verkleinerung des Magens und Schwund der Labdrüsen unter dem klin. Bilde der perniziösen Anämie, in: Dt. Archiv für Med., 1879; Die Symptomatol. der Darmgeschwüre, ebenda, 1881; Beitrr. zur Physiol. und Pathol. des Darmes, 1884; Vorträge über die Diagnose bei Gehirnkrankheiten, 1887; Über die Lokalisation von Gehirnkrankheiten, 1887; Specielle Pathol. und Therapie, 1891; Schmerzhafte Empfindungen bei Herzkrankheiten, in: Z. für klin. Med., Bd. 19, 1891; Die Anpassung des Organismus bei patholog. Veränderungen, in: Wr. klin. Ws., Jg. 7, 1894; Die Erkrankungen des Darms und des Peritoneum, in: Specielle Pathol. und Therapie, Bd. 17, 1898, 2. Aufl. 1903, auch engl.; etc.
Literatur: N. Fr. Pr. vom 13. 10. 1901, 16. 12. 1902, 7., 9. und 11. 7. und 20. 10. 1905, 7. 7. und 17. 10. 1906; Feierl. Inauguration, 1905/06; M. Neuburger, H. N., 1922; Almanach Wien, 1906; Fischer; Pagel; Eisenberg, 1893, Bd. 2; Groner; Biograph. Jb., 1907; Schönbauer, 1947, S. 344 ff.; Med. Jb., 1957, S. 117; Lesky, S. 313 ff.
Autor: (M. Jantsch)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 7 (Lfg. 32, 1976), S. 158
geboren in Stare Łysogórki
gestorben in Wien

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