Landsteiner, Karl

Landsteiner Karl, Arzt und Immunologe. * Wien, 14. 6. 1868; † New York, 26. 6. 1943.

Sohn eines Journalisten; stud. 1885–91 an der Univ. Wien Med., nach seiner Promotion (21. 2. 1891) hospitierte er an der II. Wr. Med. Univ.-Klinik (Kahler, s. d.), stud. dann Chemie bei Bamberger in München, bei dem Nobelpreisträger E. Fischer in Würzburg und bei Hantzsch in Zürich. Gem. mit Fischer gelang 1892 die erstmalige Darstellung von Glykolaldehyd. 1894/95 Operationszögling an der I. Chir. Univ.-Klinik (Albert, s. d.), dann Ass. bei dem 1. österr. Ordinarius für Hygiene, M. v. Gruber, s. d. (Gruber-Widal-Reaktion). 1896/97 Ass. bei Weichselbaum (Meningococcus W.) am Patholog.-anatom. Inst. der Univ. Wien, obduzierte er 1897–1908 insgesamt 3639 Fälle; 1899 bewarb er sich erfolglos um die Prosektorstelle in Triest. 1901 entdeckte er die klass. Blutgruppen (A, B, 0), 1902 beschrieb er mit Richter Blutgruppenbestimmungstechnik an Blutflecken. 1903 habilit. sich L. für Patholog. Anatomie. Im selben Jahr charakterisierte er die Kälteagglutinine und ventilierte deren physiolog. Bedeutung. Zwischen 1904 und 1906 gelang ihm die Herstellung gereinigter Antikörperlösungen und die Antikörperablenkungsreaktion. 1904 entstand gem. mit Jagic der Modellversuch der Antigen-Antikörper-Reaktion und mit Donath die pathogenet. Klärung der paroxysmalen Kältehaemoglobinurie (Donath-Landsteiner-Test). Auch die Ätiol. des Mekonium-Ileus wurde beschrieben (Landsteiner-Fanconi-Andersen-Syndrom). 1905/06 gelang gem. mit Finger erstmalig die Übertragung der Syphilis auf Affen und der Nachweis der Infektiosität von Gummen, gem. mit Mucha der Nachweis der Spirochaeta pallida im mikroskop. Dunkelfeld. Mit Pötzl und Müller wurde 1907 an Stelle des Extraktes aus syphilit. menschlichen Organen ein Rinderherzextrakt bei der Wassermann-Reaktion verwendet (wodurch die weltweite Anwendung dieser Methode ermöglicht wurde), und auch der Mechanismus dieser Reaktion erklärt. Zwischen 1908 und 1920 war er Prosektor am Wilhelminenspital in Wien. Gem. mit Popper gelang 1908 die Übertragung der Kinderlähmung auf Affen und mit Pauli die Verbesserung der elektrophoret. Technik. Mit Levaditi vom Pasteur-Inst. Paris, wurde eine Serumdiagnose der Poliomyelitis und die Konservierung der Kinderlähmungsviren zwischen 1909 und 1912 erarbeitet. 1914 erfolgte die Beschreibung haemagglutinierender, jedoch atox. Phytoagglutinine (pflanzliche Antikörper), experimentelle Kropfforschung mit dem Nobelpreisträger v. Wagner-Jauregg. 1911 ao. Prof., 1915 Prosektor am k. u. k. Kriegsspital I in Wien. 1919 verließ L. seine Heimat, um bis 1922 als Prosektor am RK Ziekenhuis in Den Haag zu arbeiten. Die bis 1904 zurückreichenden Vorarbeiten führten 1921 zur Darstellung eines bestimmten Antigenteiles, der von ihm mit dem Terminus „Hapten“ benannt, heute eine dominierende Rolle in der Immunol. einnimmt; erstmalige Differenzierung von Haemoglobinarten im Tierreich mittels serolog. und chem. (Löslichkeit, Kristallbildung) Technik. 1922 wurde L. an das Rockefeller-Inst. in New York berufen, dem er (ab 1939 als emeritiertes Mitgl.) bis zu seinem Tode angehörte. 1926 beschrieb er mit Levine die irregulären Agglutinine a1 und a2 und entdeckte gem. mit ihm 1927 die Blutfaktoren M, N und P, 1934 beschrieb er gem. mit Strutton und Chase den Blutfaktor „Hunter” bei Negern; 1940 gelang ihm gem. mit seinen Schülern Wiener und Levine die Entdeckung des Rhesusfaktors und die Klärung des Pathomechanismus der Neugeborenengelbsucht, bedingt durch Mutter-Kind-Unverträglichkeit in Blutgruppensystemen, gem. mit Wiener und Levine die Entdeckung des RH-Faktors rh’ = C. Zu den größten Verdiensten L.s zählen die Entdeckung der klass. Blutgruppen und des Rhesusfaktors, wodurch Blutübertragungen von Mensch zu Mensch ermöglicht und die damit verbundenen Gefahren reduziert wurden, sowie grundlegende Arbeiten auf dem Gebiet der Immunol. Er wird als Vater der Immunhaematol. bezeichnet. Seine Schüler und Zeitgenossen schildern ihn als einen bescheidenen, eher scheuen, jeder Publizität abholden, hilfsbereiten, ungemein belesenen exakten Wissenschafter. L., dem für die Entdeckung der Blutgruppen 1930 der Nobelpreis für Med. verliehen wurde, erhielt 1926 den Jahrespreis der Hans Aaronsohn-Stiftung Berlin, 1938 den Cameron-Preis der Univ. Edinburgh, die Goldene Paul Ehrlich-Medaille, 1933 die Goldene Medaille der Niederländ. Ges. vom Roten Kreuz, die Ehrendoktorrate der Univ. Chicago (Ph. D.), Cambridge (Sc. D.) Brüssel, Harvard, wurde 1929 Präs. der American Association of Immunologists, 1931 Ehrenmitgl. der Ges. der Ärzte in Wien, 1941 Foreign Member of the Royal Society.


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Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 4 (Lfg. 20, 1969), S. 433f.
geboren in Wien
gestorben in New York City

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