Kollár, Ján

Kollár Ján, Dichter und Kulturphilosoph. * Mošovce (Slowakei), 29. 7. 1793; † Wien, 24. 1. 1852.

K.s Vater konnte als Dorfschulze seinem begabten Sohn eine für die Zeit ausgezeichnete Schulbildung zuteil werden lassen, die mit dem Stud. der evang. Theol. an der Univ. Jena (1817–19) ihren Abschluß fand. Dort hörte K. u. a. Oken und Luden und erlebte das Wartburgfest mit. Eifrig verfolgte er die Spuren früherer slaw. Besiedlung in Sachsen. In die Jenaer Zeit fällt auch K.s Bekanntschaft mit seiner späteren Frau Wilhelmine (Mína), die für seine Dichtung entscheidend wurde. 1819 wurde K. in der Heimat zum geistlichen Amt ordiniert und übernahm bald danach eine Predigerstelle in Budapest, wo er hochangesehen bis 1849 wirkte. In seinen tw. gedruckten Predigten (Nedelní, svátecní a príležitostni kázne a reci [Sonn-, Feiertags- und Gelegenheitspredigten und Reden], 2 Tle., 1831–44) finden sich auch nationale und humanitäre Motive. 1835 heiratete er in Weimar. 1841 und 1844 unternahm er Forschungsreisen nach Italien. Wegen seiner bewährten Staatstreue wurde er von der österr. Unterrichtsverwaltung wiederholt als Gutachter in Fragen des Schulwesens seiner slowak. Heimat herangezogen. 1849 wurde er auf die neugeschaffene Lehrkanzel für Slaw. Altertumskde. an die Univ. Wien berufen. Ursprünglich auf dem St. Marxer Friedhof beigesetzt, wurden K.s Gebeine 1904 feierlich nach Prag übergeführt. K.s dichter. Werk ist in dem von Ausgabe zu Ausgabe anschwellenden Sonettenzyklus „Slávy dcera“ konzentriert. Zunächst war darin das persönliche Erleben (K. betrachtete seine Braut als „Tochter“ der in Mitteldeutschland untergegangenen Slawenstämme), das nationale und historiosoph. Pathos (angeregt durch Herders lichtvolle Vision der slaw. Zukunft in den „Ideen“) mit altertumskundlicher Gelehrsamkeit halbwegs organ. verschmolzen, die Spätfassungen waren dagegen bei unmäßigem Umfang (bis zu 645 Sonetten) überladen mit trockener Gelahrtheit, so daß K. sich sogar gezwungen sah, einen wiss. Kommentar zu seiner Gedichtsmlg. zu veröff. Für die Wiedergeburt der tschech.-nationalen Dichtung war die „Slávy dcera“ jedoch sehr wichtig. Große geistesgeschichtliche Bedeutsamkeit hatte K.s Abh. „Über die literarische Wechselseitigkeit zwischen den verschiedenen Stämmen und Mundarten der slawischen Nation“, 1837 (1836 tschech.-slowak. in der Z. „Hronka“), das Programm des romant., rein kulturpolit. Panslawismus. Gegenseitige Übers. und Unterricht der slaw. Hauptsprachen an allen slaw. Schulen sollten die erstrebte kulturelle Einheit des Slawentums anbahnen. Obzwar K. ein Gegner der Bestrebungen Štúrs war, das Slowak. als selbständige Schriftsprache vom Tschech. zu emanzipieren, hat er doch durch seine große von Herder angeregte Smlg. slowak. Volkslieder „Národnié zpievanky cili písne sve tské Slováku v Uhrách jak pospolitého lidu, tak i vyšších stavu (Volkslieder oder weltliche Gesänge der Slowaken in Ungarn und zwar sowohl des einfachen Volkes wie auch der höheren Stände), 2 Bde., 1835, mit zu dieser Entwicklung beigetragen. Bei seinen mit großem Fleiß zusammengetragenen Werken zur slaw. Altertumskde, mangelte es K. an wiss. Kritik: von romant. Enthusiasmus getragen sah er überall, besonders aber in Norditalien reiche Slawenspuren (Staroitalia slavjanská, 1853). Vielfach stützte er seine Behauptungen mit Etymol., die method. schon zur Zeit ihrer Aufstellung ein arger Anachronismus waren.


Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 4 (Lfg. 16, 1966), S. 85
geboren in Mošovce
gestorben in Wien

Lifeline