Gagern, Max Ludwig Frh. von

Gagern Max Ludwig Frh. von, Staatsmann. * Weilburg (Nassau), 26. 3. 1810; † Wien, 17. 10. 1889.

Sohn von Hans Christoph Frh. von G., der sich um den Zusammenschluß der Niederlande und Belgiens verdient gemacht hatte, Bruder Heinrich Frh. v. G.s, Präs. der Frankfurter Paulskirche. Stud. an den Univ. Heidelberg, Utrecht, Paris und Bonn und trat 1829 in das Kabinett Wilhelms I., Kg. der Niederlande, ein. 1830 machte er freiwillig den langwierigen Abwehrkampf der Niederländer in besonderen Verwendungen mit, fühlte sich jedoch als Deutscher nach seiner Rückkehr ins königliche Kabinett so vereinsamt, daß er seinen Abschied nahm und nach Nassau heimreiste. Erfaßte den außerordentlichen Entschluß, sich als Historiker der dt. Reichsgeschichte im Sinne seines Beraters J. Fr. Böhmer eine neue Existenz aufzubauen, machte in Halle seinen Dr.phil (1836) und habilit. sich 1837 in Bonn. Seine hier bevorstehende Ernennung zum Prof. durchkreuzte seine Stellungnahme im Kölner Kirchenstreit, wo er das Verfahren der preuß. Regierung entschieden mißbilligte. Seine Rückberufung in die nassauische Heimat als Legationsrat und spätere Verwendung als Gesandter in Holland und Belgien gab G. seit 1840 ein neues Wirkungsfeld. Damals reifte in G., der zwar eine kath. Mutter hatte, aber einer evang. Familie in einem protestant. Lande angehörte, der Entschluß zu seiner ganz innerlich erfaßten Konversion (1843). Seine polit. Stellungnahme war, wie seine bedeutende geschichtliche Nebenrolle im Jahre 1848 beweisen sollte, davon noch unberührt. Im stürm. März dieses Jahres gewann er durch die „Mission G.“, eine vielbeachtete Rundreise, die Höfe von Darmstadt, Karlsruhe und Stuttgart zu einer gemeinsamen Vorstellung in Berlin, um die Annahme der dt. Kaiserwürde durch den preuß. König vorzubereiten. Vorsitzender im Siebzehnerausschuß beim Bundestage zur Vorbereitung einer dt. Verfassung, war er in den Verhandlungen mit dem Vorparlament der wichtigste Sprecher. Als Mitgl. der Nationalversmlg. konnte er seinen Bruder Heinrich weitgehend unterstützen. Unterstaatssekretär im Reichsmin. für auswärtige Angelegenheiten bis zur Auflösung der Reichsgewalt, veranlaßte er dann die Versmlg. der Erbkaiserlichen in Gotha und wirkte auch noch im Erfurter Unionsparlament. Nach seiner Rückkehr in den nassauischen Staatsdienst wurde G. ins Innendepartement berufen. Doch seine persönlichen Verhältnisse gestalteten sich nun teils infolge der gesellschaftlichen Nachwirkung der Konversion, teils wegen Mißlingens der Entwürfe von 1848 derart, daß G. sich 1854 zum Rücktritt aus dem aktiven Dienst gezwungen sah. Durch Vermittlung des belg. Königs bei K. Franz Joseph wurde G. eingeladen, am Ballhausplatz als Ministerialrat in außerordentlicher Verwendung für den Kaiserstaat zu wirken, dem seine bisherige Tätigkeit in der dt. Nationalbewegung wie die seines Bruders, eher abträglich gewesen war. Sein erster Vorgesetzter, Gf. Buol, stand ihm auch nicht ohne Mißtrauen gegenüber. Erst Gf. Rechberg wußte G. in vollem Maße zu schätzen und vertraute ihm Dez. 1859 das handelspolit. Departement und Mai 1860 Organisation und Leitung des Preßdepartements im Außenmin. an. Zusammen mit seinen polit. und weltanschaulichen Freunden L. Frh. v. Biegeleben (ebenfalls Konvertit), und W. Frh. v. Meysenbug bildete er nach gründlicher Revision seiner früheren Anschauungen ein Triumvirat aus (um mit Bismarck zu sprechen) „Adoptivsöhnen der Monarchie“, das oft ohne Rücksicht auf die Richtlinien des jeweiligen ministeriellen Chefs eine entschieden großdt.-österr. Hegemonialpolitik befürwortete. Mit einem Bismarck als Gegenspieler mußte diese zum kriegerischen Austrag drängen, und insofern bedeutete die Entscheidung von 1866 auch persönlich für G., der sogar seinen Bruder Heinrich für seine Anschauungen gewonnen hatte, eine Katastrophe. Trotzdem konnte G. seinem Wahlvaterlande noch große Dienste leisten. Das Pressewesen zwar hatte ihm zu seiner Genugtuung Mensdorff schon 1865 abgenommen, aber die Gestaltung der neuen „gemeinsamen“ Handelspolitik Österreich-Ungarns zeigte G. auf der Höhe. Die Teilnahme an der Suezkanaleröffnung und die Vorbereitung der ersten Ostasienexpedition und der Wr. Weltausstellung 1873 brachten ihm verdiente Auszeichnungen. Um sich während der Dauer der letzteren ganz der Koordination der vielen nationalen Kommissionen der Teilnehmerländer widmen zu können, erbat und erhielt er seine Versetzung in den Ruhestand. Ins Herrenhaus berufen, schloß er sich der Rechten an, trat aber polit, nicht mehr hervor, sondern widmete sich außer der Sorge für seine Familie Werken der tätigen christlichen Nächstenliebe.


Literatur: Wr.Ztg. und N.Fr.Pr. vom 17. 10. 1889; Das Vaterland vom 19., 20 und 22. 10. 1889; Kath. Kirchenztg. n. 85, 1889; H.Z. 112, 1914, S. 327; Österr. Rundschau 33, S. 70; L. v. Pastor, Leben des Frh. M. v. G., 1912; Nassauische Lebensbilder, Bd. 4, 1950; ADB; Uhlirz, s. Reg.; H. v. Srbik, Deutsche Einheit, Bd. 3, 1942, S 38ff.; R. Lorenz, Japan und Mitteleuropa von Solferino bis zur Wr. Weltausstellung, 1945, s. Reg.
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 5, 1957), S. 391f.
geboren in Weilburg
gestorben in Wien

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