Tschusi zu Schmidhoffen, Viktor Reichsritter von

Tschusi zu Schmidhoffen Viktor Reichsritter von, Ornithologe. Geb. Smichow, Böhmen (Praha, CZ), 28. 12. 1847; gest. Hallein (Sbg.), 5. 3. 1924 (Ehrengrab); röm.-kath.

Aus einem alten Tiroler Adelsgeschlecht stammend. Sohn eines Off. und späteren Gutsbesitzers in Böhmen; ab 1871 mit Nathalie Kuhn v. Kuhnenfeld verheiratet. – T. erhielt seine Schulausbildung im Kollegium Kalksburg (Wien). Nach der Übersiedlung seiner Eltern nach Krems an der Donau wurde er von Privatlehrern unterrichtet. Bereits in früher Jugend wurde durch seine Eltern, die u. a. im Austausch mit Naturforschern wie Alexander v. Humboldt und Heinrich v. Kittlitz standen, sein Interesse an der Natur geweckt. Ab 1865 besuchte er naturwiss. und zoolog. Vorlesungen in Wien, als Ornithologe war er weitestgehend Autodidakt. T. pflegte freundschaftl. Verbindungen zu →Georg v. Frauenfeld und zu →August Pelzel v. Pelzeln, durch die er u. a. in der Präparationskunst unterwiesen wurde. Frauenfeld übertrug T. die Neubestimmung und Verwaltung der reichen ornitholog. Smlg. von →Rudolf Gf. Khevenhüller-Metsch. Diese sowie die Smlg. von →Julius Finger weckten in ihm den Wunsch zum Aufbau einer systemat. Vogelsmlg. Insbes. erkannte er, dass für weiterführende vergleichende Untersuchungen eine eigene Balgsmlg. notwendig wäre. 1868–70 bereiste er das heutige Österr., Böhmen, insbes. das Riesengebirge, Kroatien, Krain, Oberitalien, Dtld. und die Insel Helgoland, wo er lokale Vogelsmlgg. stud. und Kontakte zu Ornithologen aufbaute. T. erkannte, dass Smlgg. auf eine Faunenregion beschränkt sein sollten, in seinem Fall auf die Paläarktis. Inspiriert durch die Arbeiten von Christian Ludwig Brehm sammelte er umfangreiche Ser. von ein und derselben Vogelart aus unterschiedl. geograph. Gebieten. Darauf basierend publ. er 54 Subspezies, wovon heute noch 16 valide sind. Ebenso tragen noch vier gültige Subspezies das Epitheton tschusii. In Fragen der ornitholog. Nomenklatur galt T. als Anhänger der Baird-Schule Nordamerikas, respektive der Seebohm-Hartert-Schule Europas und propagierte, beginnend mit der Hrsg. des „Ornithologischen Jahrbuchs“ (1890), die trinäre Nomenklatur, was wohl als sein wichtigster Beitr. zur Systematik gelten muss. Im Unterschied zu Seebohm-Hartert vertrat er statt eines biolog. ein typolog. Artverständnis. Neben seinen primär der Systematik zugewandten wiss. Arbeiten widmete sich T. u. a. Fragen des Vogelschutzes und wurde als offizieller Delegierter 1895 nach Paris zur internationalen Vogelschutzkonferenz entsandt. Diese Thematik behandelte er auch 1899 beim Internationalen Ornithologen-Kongress in Paris. T. erkannte, dass die Hauptursache von Bestandsrückgängen in der Veränderung der Landwirtschaft lag. Durch Kronprinz →Rudolf veranlasst, baute er nach dt. Muster ein Beobachtungsnetzwerk über die gesamte Monarchie auf, dessen Ergebnisse T. ab 1883 in sechs Folgen des Jahresber. des Comités für ornitholog. Beobachtungsstationen in Österr. und Ungarn veröff. Aufgrund der Datenfülle folgte allerdings nie eine vollständige wiss. Zusammenschau. T. publ. ab 1879 regelmäßig Verzeichnisse über die aktuelle ornitholog. Literatur der Monarchie. Neben umfangreichen monograph. Arbeiten über den Tannenhäher, die Vögel Salzburgs und das Steppenhuhn ist seine Mitarb. an der achtbändigen „Allgemeinen Encyklopädie der gesamten Forst- und Jagdwissenschaften“ (1886–94) sowie an der zwölfbändigen Neuausg. von Johann Naumanns „Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas“ (1896–1904) erwähnenswert. Verdient machte er sich auch 1890–1918 um die Hrsg. des „Ornithologischen Jahrbuchs“ (im Selbstverlag). Bald nach der Jh.wende zwangen ihn wirtschaftl. Gründe zur Veräußerung seiner Smlg., die heute im Naturhist. Mus. Wien, in der Zoolog. Staatssmlg. München, im Haus der Natur in Salzburg und im Mus. Civico di Zoologia in Rom aufbewahrt wird. T. war u. a. ab 1865 Mitgl. der Zoolog.-Botan. Ges. in Wien, ab 1868 der Dt. Ornitholog. Ges., ab 1884 k. M. der American Ornithologists’ Union, ab 1887 Ehrenmitgl. des Ornitholog. Ver. in Wien sowie ab 1898 des Ornitholog. Ver. München. 1921 Dr. h. c. der Univ. Innsbruck.


Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 14 (Lfg. 66, 2015), S. 498f.
geboren in Prag
gestorben in Hallein

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