Tommaseo, Niccolò

Tommaseo Niccolò, Schriftsteller, Philologe und Politiker. Geb. Sebenico, Dalmatien (Šibenik, HR), 9. 10. 1802; gest. Florenz (Firenze, I), 1. 5. 1874; röm.-kath.

Sohn des Kaufmanns Girolamo T. und von Caterina T., geb. Chessevich; verheiratet mit Diamante Pavello. Nach dem Besuch des erzbischöfl. Seminars in Spalato (Split) stud. T. ab 1817 Rechtswiss. an der Univ. Padua, wo er die Bekanntschaft von →Antonio Conte di Rosmini Serbati machte; 1822 Dr. iur. Seine literar. Laufbahn begann er in Mailand, befreundete sich mit →Alessandro Manzoni und wurde Mitarb. an der von Giovan Pietro Vieusseux hrsg. Z. „Antologia“. 1827 ging T. nach Florenz, schloss Freundschaft mit Vieusseux sowie Gino Capponi und publ. 1830 das Synonymenwörterbuch „Nuovo dizionario de’ sinonimi della lingua italiana“. In Sorge wegen der österr. Zensur und Polizei, u. a. wegen des Ms. der polit. Schrift „Dell’Italia“, begab er sich 1834 ohne gültige Papiere – und daher aus österr. Sicht illegal – nach Frankreich mit Aufenthalten in Paris und Nantes, wo er den autobiograph. romant.-psycholog. Roman „Fede e bellezza“ (veröff. 1840, Neuaufl. 2006) schrieb, und nach Korsika, um dort Volkslieder zu sammeln. Er nützte die nach der Krönung K. →Ferdinands I. in Mailand 1838 erlassene Amnestie zur Rückkehr und lebte 1839–49 in Venedig. 1840 veröff. er das „Dizionario estetico“, 1841 erschien die Smlg. „Scintille“, die auch serbokroat. Texte in italien. Übers. beinhaltete und in der er sich zu den illyr. Wurzeln seiner Herkunft mütterlicherseits bekannte (1844 in kroat. Übers. als „Iskrice“ durch →Ivan Kukuljević Sakcinski). 1841–42 folgte die Smlg. „Canti popolari toscani, corsi, illirici e greci“ (4 Bde., Neuaufl. 2010), mit der er auch die südslaw. Literatur befruchtete. Anfang 1848 wurde er aufgrund einer Petition gegen die Zensur zusammen mit Daniele Manin verhaftet, aber im März bei Ausbruch der Revolution befreit. Er trat in die Regierung der von Manin ausgerufenen Republik Venedig als Unterrichtsminister ein. Eine diplomat. Mission führte ihn nach Paris. Die von Manin befürwortete Annexion Venedigs an das Kg.reich Piemont lehnte T. aus seiner kath.-republikan.-föderalist. Einstellung heraus ab. Nach der Kapitulation Venedigs vor den österr. Truppen im August 1849 flüchtete er auf einem französ. Kriegsschiff nach Korfu. Eine Augenerkrankung ließ ihn beinahe erblinden. 1854 zog er nach Turin und 1859 neuerl. nach Florenz. Eine Professur in Turin und die Ernennung zum Senator des liberalen Kg.reichs Italien lehnte er seiner polit. Gesinnung wegen ab. T. gab ab 1865 das monumentale Wörterbuch „Dizionario della lingua italiana“ heraus, legte seinen Dante-Kommentar neu auf (1837, Neuaufl. 2004), schrieb gegen die Todesstrafe, polemisierte gegen den Darwinismus, ed. die Briefe der Hl. Katharina von Siena (1860) und verf. autobiograph., polit., hist. und religiöse Schriften. Viele seiner Texte erschienen zuerst in Z., dann überarbeitet als Bücher. T. zählt zu den bedeutendsten, vielseitigsten und produktivsten romant. italien. Schriftstellern. Durch die Ed. der illyr. Volkslieder und durch die „Scintille“ zählt er aber auch zur südslaw. Literaturgeschichte. Seine Auffassung von Nation war eine romant.-patriot., weitab von engem Nationalismus. In der Dalmatienfrage vertrat er den autonomist. Standpunkt und lehnte die Vereinigung Dalmatiens mit Kroatien ab. Er betonte die kulturelle Verbundenheit Dalmatiens mit Italien, verlangte aber ebenso die Förderung der serbokroat. Sprache.


Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 14 (Lfg. 66, 2015), S. 397f.
geboren in Šibenik
gestorben in Florenz

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