Hatschek, Julius Karl

Hatschek Julius Karl (bis 1898 Julius Isidor), Rechtswissenschaftler. Geb. Czernowitz, Bukowina (Černivci, UA), 21. 8. 1872; gest. Göttingen, Deutsches Reich (D), 12. 6. 1926; mos., ab 1898 evang.

Sohn des aus dem nordmährischen Gewitsch stammenden, später in der Bukowina – zunächst in Czernowitz, dann in Sereth – praktizierenden Rechtsanwalts Isidor Hatschek (geb. 17. 11. 1843) sowie der Tochter von dessen Anwaltskollegen und Seniorchef Leo Reitmann, Rebekka Reitmann (geb. Czernowitz, 11. 1. 1851). – H. studierte ab 1890 Jus in Leipzig, danach in Czernowitz und 1893–94 in Wien; 1895 Dr. iur. in Czernowitz. Der in Wien virulenten antisemitischen Ablehnung jüdischer Wissenschaftler begegnete er 1897 durch den Wechsel zur evangelischen Konfession sowie seines Zweitvornamens (1898, Taufpate →Karl Grünberg) und durch seinen Weggang nach Heidelberg zu →Georg Jellinek. Bei diesem habilitierte er sich mit der Schrift „Die Selbstverwaltung in politischer und juristischer Bedeutung“ (1898). Nachdem sich Berufungen nach Jena und Zürich (1900/01) auch abkunftsbedingt zerschlagen hatten, wurde H. 1902 ao. Professor in Heidelberg. 1905 folgte er einem Ruf an die neu gegründete Königliche Akademie zu Posen, die gegen dortige polnische Ambitionen satzungsmäßig der Förderung des deutschen Geisteslebens dienen sollte. Ab 1908 war er als „Hilfsarbeiter“ im Preußischen Kultusministerium beurlaubt. Ab 1909 lehrte er an der Universität Göttingen. Den damals auf dem Kontinent dominanten Positivismus überschritt H. rechtsvergleichend speziell durch sein dauerhaftes Interesse an britischen Rechtszuständen, das mit verschiedenen Forschungsaufenthalten in London einherging. Er entsprach damit einer im damaligen, von Nationalitätenkonflikten geplagten Österreich-Ungarn verbreiteten Sympathie für Großbritannien und dessen jedem Provinzialismus abholden politischen System. Dabei gewann er eine Weltläufigkeit und Liberalität, die sich in der bemerkenswerten Vorurteilslosigkeit und Modernität seines wissenschaftlichen Werks spiegelt. Beispielgebend war sein zweibändiges „Englisches Staatsrecht“ (1905–06; Kurzfassung 1914), das die britischen Rechtszustände im Gegensatz zu Rudolf von Gneist nicht mit deutschen Begrifflichkeiten, sondern aus den landesspezifischen Rechtsbegriffen und Sozialverhältnissen heraus schildert. H. trat damit – neben →Josef Redlich – als der deutschsprachige Spezialist des dortigen Parlamentsrechts hervor. Dies ließ den Deutschen Reichstag mit einer Gutachtenbitte an H. herantreten, als man nach der „Daily Telegraph“-Affäre (1908) die Reichsleitung parlamentarisch-geschäftsordnungsmäßig einzuhegen suchte. Damit begann eine Zusammenarbeit, aus der auch der Auftrag für „Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches“ erwuchs. Dieses umfassend angelegte Werk, dessen 1. Teil bei Beginn des 1. Weltkriegs abgeschlossen war und Anfang 1915 erschien (Nachdruck 1973), sollte den dauerhaften Ruhm H.s als Parlamentsrechtler begründen. Unter Mitberücksichtigung der übrigen europäischen Staaten arbeitete er durchwegs rechtsvergleichend und bot mit seiner Verwendung parlamentarischer Vorkommnisse eine bis heute unverzichtbare Fundgrube einschlägigen Fallmaterials. Den Schlussband des Werks verhinderten die parlaments- und staatsrechtlichen Veränderungen durch den 1. Weltkrieg. Ein Gutteil der dafür vorgesehenen Ausführungen schlug sich indessen in seinem Werk „Deutsches und Preußisches Staatsrecht“ (2 Bde., 1922–23, 2. Aufl. 1930) nieder. H., der sich nach 1918 als SPD-Mitglied dezidiert auf den Boden der Weimarer Verfassung stellte, befasste sich in seinem wissenschaftlichen Œuvre mit einer erstaunlich breiten Palette an Fragen. Es erfasst das ausländische Recht bis hin zu den Vereinigten Staaten, Neuseeland und islamischen Rechtseinrichtungen. Sein Werk zeigt weiter einen gewissen Aufstieg von verwaltungsrechtlichen Fragen über das Staatsrecht bis zum Völkerrecht.


Referenz: ÖBL Online-Edition, Lfg. 4 (30.11.2015)
geboren in Tschernowitz
gestorben in Göttingen

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