Lombroso, Ezechia Marco

Lombroso Ezechia Marco, Ps. Cesare Lombroso, Psychiater, Anthropologe und Kriminologe. Geb. Verona, Lombardo-Venetien (I), 6. 11. 1835; gest. Turin (Torino, I), 19. 10. 1909; mos.

Sohn des Kaufmanns Aarón Lombroso und seiner Ehefrau Zefira Levi; ab 1869 mit Nina De Benedetti verheiratet; fünf Kinder. – L. besuchte das Jesuitengymnasium, wurde jedoch in seiner Jugend von seinem revolutionären Cousin David Levi beeinflusst und demonstrierte eine oppositionelle Haltung gegenüber der Obrigkeit. Daraufhin wurde ihm der weitere Besuch des Gymnasiums verweigert; er erhielt ab 1850 Privatunterricht. Während seiner Schulzeit verfasste er bereits Gedichte sowie Abhandlungen archäologischen Inhalts. Ab 1852 studierte L. Literatur und Medizin an der Universität Pavia sowie in Padua und 1855–57 Medizin an der Universität Wien mit besonderem Schwerpunkt auf Anthropologie, vergleichender Psychologie und Psychiatrie; 1858 Dr. med. in Pavia, 1859 Dr. chir. an der Universität Genua. 1859–63 diente L. in der italienischen Armee, zunächst im Krieg von 1859, danach als Militärarzt. Daneben habilitierte er sich 1860 an der Universität Pavia für Psychiatrie. 1863 regte er die Einrichtung eines kostenlosen Kurses für Psychiatrie an. 1863–72 war L. mit der Leitung verschiedener Irrenanstalten in Pavia, Pesaro und Reggio nellʼEmilia beauftragt, ab 1865 hatte er zudem Lehraufträge an der Universität Pavia. Ab 1867 wirkte er als ao. Professor für klinische Psychiatrie, ab 1874 als ao. Professor für Gerichtsmedizin, Hygiene und Toxikologie an der Universität Pavia. 1878 wechselte er als Professor für Gerichtsmedizin und Hygiene nach Turin, wo er 1887 zum Ordinarius für Forensische Medizin ernannt wurde. Ab 1890 lehrte er zusätzlich Psychiatrie und wurde 1896 Professor für Psychiatrie und psychiatrische Klinik; 1906 o. Professor für Kriminalanthropologie. L. gilt als Begründer der italienischen Schule der kriminalanthropologisch ausgerichteten positivistischen Kriminologie (Scuola positiva di diritto penale). Durch seine Annahmen, dass sich Verbrecher aufgrund biologischer Voraussetzungen durch physiologische Besonderheiten, die als Atavismen der Entwicklungsgeschichte zu verstehen seien, von der Durchschnittsbevölkerung unterschieden, beeinflusste er Juristen, Kriminologen, Ärzte und Philosophen nachhaltig und weltweit. 1876 veröffentlichte er dazu sein vielfach aufgelegtes Hauptwerk „L’uomo delinquente“ (5. Aufl. 1896; deutsch: „Der Verbrecher in anthropologischer, ärztlicher und juristischer Beziehung“, 2 Bde., 1887–90), worin er anhand von Beobachtungen, Untersuchungen und Schädelmessungen die Theorie aufstellte, dass Kriminalität durch angeborene Eigenschaften bestimmt wird. Das Werk wurde kontroversiell diskutiert, wirkte jedoch lange nach und wurde von den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts nach Bedarf umgedeutet. L.s wissenschaftliches Werk war aber nicht nur theoretischer Natur, sondern diente der Modernisierung und Effizienzsteigerung der Gerichtsmedizin und der interdisziplinären Arbeitsweise der strafrechtlichen Verfolgungsbehörden. Ab den 1850er-Jahren forschte er zu Kretinismus, Pellagra und Geisteskrankheiten. Darüber hinaus verbreitete er die Darwin’sche Lehre in Italien. Seine Werke, die bis heute immer wieder neu aufgelegt werden, wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Erwähnenswert sind u. a. sein psychiatrisch-anthropologisches Werk „Genio e follia“ (1872, deutsch: „Genie und Irrsinn“, 1887), mit dem L. rasch international bekannt wurde, weiters „La donna delinquente“ (1893, deutsch: „Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte“, 1894) sowie „L’antisemitismo e le scienze moderne“ (1894, deutsch: „Der Antisemitismus und die Juden im Lichte der modernen Wissenschaft“, 1894). 1880 fungierte L. als Mitbegründer der Zeitschrift „Archivio di psichiatria, antropologia criminale e scienze penali“, als deren Mitherausgeber er auch tätig war. Seine Schriften und Forschungsobjekte befinden sich in dem 1892 in Turin gegründeten Museo di psichiatria e antropologia criminale (heute: Museo di Antropologia Criminale Cesare L.). Politisch stand L. den gesellschaftlichen Reformkräften und bis 1904 den Sozialisten nahe.


Literatur: Annales de voyages, Bd. 4, 1865; Giornale degli ingegneri ed architetti, 1878, S. 1 ff.; Annuario scientifico industriale, 1878, S. 1156; Pagliaini; Giornale del Genio Civile, 1878; Rendiconti dell’Istituto Lombardo di scienze e lettere, Ser. 2, Bd. 12, 1879; Atti dell’Istituto Veneto, Ser. 6, Bd. 1882/83; Rassegna storica del risorgimento 49, 1962, S. 405; A. Vismara, Bibliografia del senatore Ing. E. L., 1893; Poggendorff; T. Sarti, Il parlamento subalpino e nazionale, 1890, S. 582 f.; Mitt. W. Kresser, Wien.
Referenz: ÖBL Online-Edition, Lfg. 4 (30.11.2015)
geboren in Verona
gestorben in Turin

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