Durdík, Josef

Durdík Josef, Philosoph, Psychologe und Schriftsteller. Geb. Hořitz, Böhmen (Hořice v Podkrkonoší, CZ), 15. 10. 1837; gest. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 30. 6. 1902.

Aus einer Hutmacherfamilie stammend; Bruder des Richters, Literaturhistorikers und Übersetzers Alois Durdík (1839–1906), des Arztes, Ethnographen, Forschungsreisenden und Übersetzers Pavel Durdík (1843–1903) sowie des Pädagogen und Übersetzers Petr Durdík (1845–1909). – Nach der Matura am Gymnasium in Königgrätz studierte D. 1854–59 an der Universität Prag Mathematik, Physik und Philosophie; Psychologie hörte er bei dem Herbartianer Robert von Zimmermann und bei →Johann Heinrich Löwe. Anschließend arbeitete er als Erzieher und Lehrer in Leitmeritz und Prag. 1870 habilitierte sich D. an der Universität Prag für das Fach Philosophie und wurde 1874 ao., 1880 o. Professor der Philosophie. Nach der Teilung der Universität 1882 wirkte er an der tschechischen philosophischen Fakultät (gemeinsam mit →Otakar Hostinský und →Thomas (Garrigue) Masaryk). D. entwickelte seine Philosophie, Ästhetik und Psychologie unter dem starken Einfluss von Johann Friedrich Herbart, dessen Lehre er der tschechischen Philosophie zugänglich machte; er gilt neben Gustav Adolf Lindner als Begründer der tschechischen Form des Herbartianismus. Die Philosophie definierte er als Wissenschaft, die auf Grundlage der Resultate der übrigen Wissenschaften nach der Gestaltung einer einheitlichen Weltanschauung strebt. In Anlehnung an Herbart legte D. ein Klassifikationssystem der Wissenschaften vor; als Kern der Philosophie betrachtete er die Metaphysik. Er machte sich um die Schaffung eines tschechischen philosophischen Stils und einer philosophischen Begrifflichkeit in tschechischer Sprache verdient. In seiner Habilitationsschrift „Leibniz und Newton. Ein Versuch über die Ursachen der Welt auf Grundlage der positiven Ergebnisse der Philosophie und der Naturforschung“ (1869) beabsichtigte er, seine philosophische Anschauung („dynamischer Atomismus“) durch die Synthese von Leibniz’ Monadologie und Newtons Gravitationslehre zu vertiefen. In „Darwin und Kant“ (1906 aus dem Nachlass herausgegeben) bereicherte er Herbarts Lehre um einige von Darwin entlehnte Elemente und kehrte auch zu Kant und den Neukantianern zurück. Kants Lehre von der Unerkennbarkeit des „Dings an sich“ ermöglichte D., neben der Wissenschaft und der Philosophie auch der Religion und dem Glauben Raum zu geben. In der Psychologie diente ihm Herbarts „Psychologie als Wissenschaft“ als Muster. D.s Gymnasiallehrbuch „Psychologie pro školu“ (1872) und weitere psychologische Arbeiten („O letorách“, „Kallilogie čili o výslovnosti“, „Karakter“, alle 1873) erschienen in zahlreichen Ausgaben. Darüber hinaus trug D. bedeutend zur Systematisierung der tschechischen Ästhetik bei. In der Schrift „Všeobecná aesthetika“ (1875) bekannte er sich zum Herbart’schen ästhetischen Formalismus, ging jedoch im Buch „Poetika jakožto aesthetika umění básnického“ (1881) über ihn hinaus und erklärte jenes Kunstwerk für ästhetisch wahr, das in Wirklichkeit oder in unserem Geist seinem Vorbild entspricht. Systematisch widmete sich D. – als Erster in den böhmischen Ländern – der Philosophiegeschichte. Das Buch „Dějepisný nástin filosofie novověké“ (1870) und dessen Fortsetzung „Dějiny filosofie nejnovější“ (1887) heben den Beitrag und die Bedeutung der einzelnen Philosophen hervor, verfolgen die Entwicklung der philosophischen Schulen und Richtungen und fragen nach ihrer geschichtlichen Kontinuität. Als Kritiker, Dichter, Dramatiker (Tragödien „Stanislav a Ludmila“, 1881, „Karthaginka“, 1882, lyrisch-episches Gedicht „Večer“, 1906) und Übersetzer wirkte D. auch auf dem Gebiet der Literatur. Er übersetzte Leibniz’ „Monadologie“ (1884) sowie Lord Byrons dramatische Gedichte „Parisina“ (1869) und „Kain“ (1871) ins Tschechische. Neben seiner wissenschaftlichen und schriftstellerischen Tätigkeit war D. 1883–89 Abgeordneter der Nationalpartei im böhmischen Landtag. Er beteiligte sich 1881 an der Gründung des Vereins Jednota filosofická und war ab 1878 ao., ab 1893 o. Mitglied der Königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften sowie ab 1890 o. Mitglied der Böhmischen Kaiser Franz Joseph-Akademie der Wissenschaften, Literatur und Kunst.


Literatur: M.Pr. vom 1. 7. 1902; Novák 4; Otto Erg. 1.
Referenz: ÖBL Online-Edition, Lfg. 4 (30.11.2015)
geboren in Hořice v Podkrkonoší
gestorben in Prag

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