Stöhr, Ernst

Stöhr Ernst, Maler, Graphiker, Musiker und Schriftsteller. Geb. St. Pölten (NÖ), 1. 11. 1860; gest. ebd., 17. 6. 1917 (Selbstmord); röm.-kath.

Sohn des Geigenbauers und Mitbegründers des Gesang- und Musikver. St. Pölten Karl (geb. St. Pölten, 1825; gest. ebd., 30. 9. 1909), Neffe des Dirigenten und Komponisten Ludwig S. (geb. St. Pölten, 12. 4. 1836; gest. ebd., 23. 6. 1902), der als Musiklehrer am Inst. der Engl. Fräulein wirkte und 1869–99 dem Gesang- und Musikver. St. Pölten als Musikdir. vorstand, verehel. mit seiner Cousine Fritzi Tirmann. – Nach der Realschule stud. S., dessen Begabung sich sowohl auf Malerei als auch auf Dichtkunst und Musik erstreckte, 1877–79 an der Wr. Kunstgewerbeschule (u. a. bei Rieser und Hrachowina, beide s. d.) und nahm zugleich Musikunterricht bei seinem Onkel. 1879–90 setzte er (mit Unterbrechungen) sein Stud. bei C. R. Huber, A. Eisenmenger und L. K. Müller (alle s. d.) an der Wr. ABK fort und war daneben als Violinlehrer tätig. In den Folgejahren lebte er abwechselnd in Wien, St. Pölten, Melk und der Wochein (Bohinj), wo die Tirmanns ein Hotel besaßen; 1900 richtete er am Wocheinersee auch sein Atelier ein. S., ab 1880 Mitgl. der Hagenges. und ab 1896 der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens (Künstlerhaus), erregte mit seiner 1895 für den Kritiker des Akademismus Th. Hörmann v. Hörbach (s. d.) organisierten Ausst. in der Fachwelt großes Aufsehen und zählte 1897 zu den Mitbegründern der Secession, in der er später wiederholt ausstellte; dieser Vereinigung blieb er als einer der Naturalisten auch nach dem Auszug der Klimt-Gruppe (1905) treu. Bes. hervorzuheben ist sein Mitwirken an der Beethoven-Ausst. der Secession (1902): Er verf. nicht nur das Vorwort für deren Kat., sondern schuf auch, beeinflußt durch den westeurop. Symbolismus, figürl. Reliefs in Mörtelschnitt für den Raum des Beethovenfrieses. 1915 erhielt er für sein Bild „Kreuzigung“, dem er eine Passage der Matthäuspassion von J. S. Bach zugrunde legte, den Reichel-Preis. S. unternahm nur wenige Stud.reisen, u. a. nach Italien, in die Niederlande, nach London und Paris, und mußte sich, bedingt durch ein Nervenleiden, immer wieder in Sanatorien aufhalten. S., für den Musik auch in der Malerei große Bedeutung hatte, war ein vielseitiger Geist, der sein Leben lang an seiner inneren Unausgeglichenheit litt. Seine Malerei ist in sich sehr unterschiedl.: Einerseits formulierte er spontane Natureindrücke, andererseits melanchol.-symbolisierende, offenbar von Träumen inspirierte Visionen, deren Kolorit von dämmrigen Blautönen bestimmt ist. Seine Landschaftsbilder – Motive aus NÖ und der Wochein – und viele seiner Porträts sind hingegen oft von einer geradezu expressiven Farbigkeit bestimmt.


Werke: Weitere W. (auch s. u. Engelhart – Graf): Juniabend, 1901, Abendläuten, 1902, C. Müller, R. Bacher (alle Wien Mus., Wien); Mondnacht, 1906, Mesnerhaus in Melk, 1908, Die Baßgeige, 1908, Kreuzigung, 1914 (alle Österr. Galerie Belvedere, Wien); etc. – Publ.: Zeichnungen und Ged., in: Ver Sacrum 2, 1899, H. 12; etc. – Nachlaß: Stadtmus. St. Pölten, NÖ.
Literatur: FB, 7. 7. 1917; Czeike; Fuchs, 19. Jh.; Thieme–Becker; J. Engelhart – K. Graf, E. S. zum Gedächtnis, 1918 (m. B. u. tw. W.); Gedächtnisausst. E. S. …, St. Pölten 1962 (Kat.); Ch. M. Nebehay, Ver Sacrum 1898–1903, 2. Aufl. 1981, s. Reg.; Le arti a Vienna, 1984, S. 582; Wien um 1900, 1985, S. 40ff., 546; G. Frodl, Kunst in Wien um 1900, Schloß Halbturn 1987 (Kat.); G. Bösch, Die Kunst des inneren Sehens: E. S. …, phil. Diss. Marburg, 1993; E. Koller Glück, in: Nö. Kulturberr. 1997, H. 7/8, S. 11; K. Pokorny-Nagel, in: Sinnlichkeit und Versuchung, St. Pölten 1997, S. 21ff. (Kat.); Der Blick nach innen, ed. E. Becker – S. Grabner, Amsterdam 1997 (Kat., m. B.); M. Bisanz-Prakken, Hl. Frühling. G. Klimt und die Anfänge der Wr. Secession …, 1999, S. 128, 133ff., 222; Kunst des 20. Jh. 4, bearb. M. Pappernigg, 2001; Geschichte der bildenden Kunst in Österr. 5, ed. G. Frodl, 2002, s. Reg.; Waldmüller bis Schiele, ed. W. Krug, 2002, S. 165, 235 (m. B.); ABK, Univ. für angewandte Kunst, beide Wien.
Autor: (G. Frodl)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 61, 2009), S. 292f.
geboren in St. Pölten
gestorben in St. Pölten
wirkte in Wien
wirkte in St. Pölten
wirkte in Melk
wirkte in Bohinj
wirkte in Wocheinersee 1900
reiste nach Italien
reiste nach Niederlande
reiste nach London
reiste nach Paris
war Student Kunstgewerbeschule Wien 1877-1879
war Student Akademie der bildenden Künste Wien 1879-1890
war Mitglied Haagengesellschaft 1880
war Mitglied Genossenschaft der Bildenden Künstler Wiens (Künstlerhaus) 1896
war Gründungsmitglied Wiener Secession 1897
war Mitglied Wiener Secession 1897

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