S. erhielt ihre gesangl. Ausbildung bei dem Schubertsänger Viktor Heim, wandte sich aber bereits früh dem Kabarett zu und trat erfolgreich in Wr. Etablissements (1909–12 in der „Hölle“, ab 1912 im „Simplicissimus“) auf. Dank ihrer schönen Stimme und ihres charmanten Vortrags erreichte sie bald große Bekanntheit. 1914 lernte sie den Komponisten und Schriftsteller Ralph Benatzky (1884–1957) kennen, den sie im selben Jahr heiratete. Das Künstlerduo S. (Gesang) und R. Benatzky (Klavier) erreichte mit seinem Vortrag von Chansons und Wienerliedern europ. Berühmtheit, Tourneen führten es nach Dtld., in die Schweiz, nach Italien und England. Ihr Vortragsstil knüpfte an Traditionen des Münchner Kabaretts („Die Elf Scharfrichter“) und der Wr. Kleinkunst („Nachtlicht“) an, bereicherte aber die Kunstform um viele neue und originelle Nuancen. Benatzky dichtete und komponierte für seine Gattin rund 500 Lieder, viele darunter erreichten hohe Popularität, wie das Walzerlied „Ich muß wieder einmal in Grinzing sein“. 1921 trat das Duo mit größtem Erfolg an dem von Reinhardt (s. d.) geleiteten Dt. Theater in Berlin auf, fortan wurde diese Stadt für beide ein Zentrum ihres Wirkens. S., deren feinsinniger und musikal. Vortrag gerühmt wurde, galt in den 20er Jahren als die bedeutendste dt.sprachige Diseuse; ihre Kunst wurde mit jener der berühmten Yvette Guilbert verglichen. Viele Kritiker widmeten dem Künstlerpaar Selim-Benatzky begeisterte Worte. 1924 lebten beide hauptsächl. in Berlin, wo die „wienerische Note“ ihrer Kunst sehr geschätzt wurde; im Dezember 1928 traten sie zum letzten Mal gem. in Wien auf. Eine Ehekrise führte schließl. zu schweren Konflikten. Der überraschende Tod von S. hat zu vielen Spekulationen Anlaß gegeben.
Literatur: NFP, 26., 30., WZ, 27. 8. 1929; Die Fackel, Nr. 668– 675, Dezember 1924, S. 19ff., Nr. 679–685, März 1925, S. 67f.; K. Budzinski, Die Muse mit der scharfen Zunge, 1961, s. Reg.; R. Hösch, Kabarett von gestern 1, 1967, S. 213, 289f.; R. Weys, Cabaret und Kabarett in Wien, 1970; H. Veigl, Lachen im Keller, 1986, s. Reg.; B. Leinbach, Tondokumente der Kleinkunst und ihre Interpreten 1898–1945, 1991 (mit Diskographie); F. Hennenberg, Es muß was Wunderbares sein. R. Benatzky ..., 1998 (mit Auszügen aus Benatzkys Tagebüchern); W. Dosch, in: R. Benatzky & J. S., CD Preiser Records 90103 (Begleittext).
Autor: (C. Gruber – C. Höslinger)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 56, 2002), S. 155f.