Schubert, Franz Peter

Schubert Franz Peter, Komponist. Geb. Wien-Himmelpfortgrund, 31. 1. 1797; gest. Wien-Wieden, 19. 11. 1828.

Sohn von Franz Theodor S. (s. d.) und der Elisabeth, geb. Vietz (aus Nordmähren bzw. Schlesien). Aufwachsend im Schulhaus des Vaters, erhielt S. erste musikal. Unterweisungen bei diesem und beim älteren Bruder Ignaz (1785–1844) (Violine und Klavier) sowie beim Chorregenten der Lichtentaler Kirche, Michael Holzer. Im Herbst 1808 wurde er unter die zehn Sängerknaben der k. Hofkapelle aufgenommen, damit verbunden auch in das k. k. Stadtkonvikt und das benachbarte Akadem. Gymn. Dort erhielt er Unterricht in allg. Musiklehre und Generalbaß bei dem Hoforganisten W. Ružicka (s. d.) und erweiterte seine Kenntnisse durch die Teilnahme am Übungsprogramm des Konviktorchesters. Den eigentl. Lehrer in Komposition fand S. von 1812 an in dem Hofkapellmeister Salieri (s. d.). Unter den ersten Werken finden sich Lieder vom Typus der Szene und Ballade nach dem Vorbild Zumsteegs (bevorzugt auf Texte von Schiller und Matthisson), Streichquartette, Fantasien für Klavier; angeregt durch das Konviktorchester vier Ouvertüren, verschiedene Musiken für Bläserensembles, ein Bühnenfragment sowie die noch am Ende der Schulzeit begonnene 1. Symphonie (D 82, in D-Dur). Im Schuljahr 1813/14 besuchte S. die Lehrerbildungsanstalt an der Normal-Hauptschule zu St. Anna in Wien; danach unterrichtete er bis Juni 1818 als Schulgehilfe in der Schule des Vaters, mit knapp einjähriger Unterbrechung 1816/17, während der er im Hause seines Freundes Franz v. Schober (s. d.) wohnen konnte – eine erste kurze Phase der Unabhängigkeit vom Vater. Für den häusl. Musizierkreis im Elternhaus dürften indessen noch die Streichquartette dieser Jahre (D 112, 173, 353) und die beiden Streichtrios komponiert sein, die dem Geist Haydns und Mozarts eng verpflichtet sind; die Bindungen an die Vorstadt machten auch die ersten öff. Erfolge seiner vier frühen Messen (in F, G, B, C) mögl. Andere Momente drängten hinaus: Im Frühjahr 1816 bewarb sich S. um die Stelle eines Musiklehrers an der Lehrerbildungsanstalt in Laibach, jedoch ohne Erfolg. Um Schober und Johann Mayrhofer (s. d.) sowie die aus der Konviktzeit befreundeten Josef v. Spaun, Albert Stadler, Josef Kenner (s. d.) und die Mitschüler bei Salieri, Hüttenbrenner (s. d.) und Aßmayr (s. Aßmayer), bildete sich ein erster enger Freundeskreis, über den gegen Ende 1817 auch die Bekanntschaft mit dem Hofopernsänger Johann Michael Vogl vermittelt wurde, dem wichtigen Förderer und Interpreten der späteren Jahre. Aus der Fülle der Liedproduktion (nun auch Strophenlieder) faßte der 19jährige zwei Liederhe. mit Goethe-Vertonungen zusammen und schickt das erste an den Dichter. Ein Kreis von Instrumentalisten schließl. um Otto Hatwig, Josef Prohaska und Josef Otter (mit S. am Bratschenpult) bildete den förderl. Hintergrund für die Entstehung der Symphonien 2 bis 6 und der zahlreichen Ouvertüren dieser Jahre. Einen bedeutenden Einschnitt in S.s Leben bildete das Jahr 1818: Er wurde Privatmusiklehrer von Marie und Karoline Esterházy v. Galánta (den Töchtern des Gf. Johann Karl), mit halbjährigem Sommeraufenthalt auf Schloß Zseliz (Želiezovce, Slowakei) jeweils in den Jahren 1818 und 1824. Zeugen tieferer Verbundenheit sind die Widmungen des Liederhe. op. 8 an den Gf. und der Fantasie in f-Moll (für Klavier zu vier Händen) aus dem Jahre 1828 an die Komtesse Karoline. Von 1818 an datieren auch die ersten Lieddrucke („Erlafsee“, „Widerschein“, „Die Forelle“) in Beilagen zu Wr. Z. und Almanachen. Auff. seiner Werke wurden häufiger, u. a. im Salon Ignaz v. Sonnleithners („Erlkönig“, „Der Wanderer“ nach Schmidt von Lübeck, Vokalquartette, u. a. „Das Dörfchen“). Die enge Freundschaft mit dessen Sohn Leopold förderte die Ausg. erster Liederhe. in den Jahren 1821/22 in rascher Folge: op. 1 („Erlkönig“), op. 2 („Gretchen am Spinnrade“), und op. 3–8, 12–14. Die Verbindung mit dem Sänger Vogl wurde zum Mittelpunkt von „Schubertiaden“, dem Forum der Freunde für allerneueste Liedkompositionen. Auf Reisen in Vogls Heimat in den Sommermonaten 1819, 1823 und 1825 gewann das Duo Bewundererkreise inbes. in Linz, Gmunden und Steyr; das „Forellenquintett“, D 667, als Auftrag aus Steyr war Frucht solcher Beziehungen. Von ähnl. Anerkennung zeugte die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft im Steiermärk. Musikver. in Graz 1823. Mit den bis dahin vorliegenden Sätzen 1 und 2 einer Symphonie in h (der „Unvollendeten“) bedankte sich der Geehrte. Von 1819 an wuchs die Zahl der öff. Auff. der Lieder und Vokalquartette in den Akad. und „Abendunterhaltungen“ beständig; von S.s zahlreichen Einaktern wurden 1820 „Die Zwillingsbrüder“ (Kärntnertortheater), das Zauberspiel und Melodram „Die Zauberharfe“ (Theater a. d. Wien) aufgef.; dies blieb den Opern „Alfonso und Estrella“ (1821/22) und „Fierabras“ (1823) zu S.s Lebzeiten verwehrt. Mit höchster Ambition arbeitete S. 1819–22 an seiner „Missa solemnis“, der Messe in As (Umarbeitung 1825/26). 1818–23 war jedoch auch die Zeit der stilist. Neuorientierung und selbstkrit. Besinnung: Nicht zu Ende geführt sind neben der „Unvollendeten“ drei weitere Symphonie-Entwürfe, zwei Bühnenwerke („Lazarus“ mit fertigem 1. Akt; „Sakuntala“ nur im Entwurf), fünf Klaviersonaten (gegenüber fünf vollendeten noch 1817), ein Streichquartett (D 703 in c, davon nur der 1. Satz fertig; außer dem „Forellenquintett“ kein anderer Versuch in der Ensemblemusik). Die Vorbilder Gluck, Mozart, Haydn verblaßten, Beethoven wurde Maßstab und – wegen der übergroßen Wirkung – zugleich Ärgernis. Zur Selbstfindung verhalf der nach 1818 deutl. literar. geprägte Zirkel um Schober, Johann Chrysostomus Senn (der 1820 wegen „freiheitlicher Umtriebe“ nach Tirol verbannt wurde), Moritz v. Schwind, Grillparzer, Leopold Kupelwieser (beide s. d.), Franz Lachner, Franz Ser. v. Bruchmann; für die Lieder entdeckte S. nun Texte von Novalis, Rückert und den Brüdern Schlegel. 1823 bedeutete wohl den Wendepunkt in S.s Entwicklung: Zunächst erkrankte er schwer (vermutl. Syphilis), die Tendenz einer Isolation wurde auch durch den Wegzug seiner wichtigsten Freunde Schober und Spaun verstärkt. Mit geschärfter, seiner selbst in höherem Maße gewisser Hellsichtigkeit und mit dem Bestreben, unmittelbar für die Veröff. zu produzieren, ging S. daraus hervor: Noch im Herbst entstand der Liederzyklus „Die schöne Müllerin“ und die Musik zum Schauspiel „Rosamunde“, für den Druck das eine, für die Auff. im Dezember das andere Werk. Von den beiden Streichquartetten von 1824 (in a und d) fand das in a beides: das prominente Schuppanzigh-Quartett für die Auff. in dessen Abonnementkonzerten und den Verleger für die Ausg. als op. 29. Leichter noch hatte es S. mit der Hrsg. der zahlreichen Werke für Klavier zu vier Händen, den „französischen“ und „ungarischen“ Divertissements, den verschiedenen „Grandes Marches“ und Polonaisen sowie den für den Druck ausgewählten Klaviersonaten in a, D und G (op. 42, 53 und 78). Neue Liederhe. erschienen in rascher Folge: bis 1825 weitere 16, 1826 acht, 1827 dreizehn, im Sterbejahr noch elf vom Komponisten vorbereitete; darunter die echten Zyklen nach Wilhelm Müller („Die schöne Müllerin“, op. 23, „Winterreise“, op. 89), Zusammenstellungen der Lieder einer Vorlage (op. 12 und 62 nach Goethes „Wilhelm Meister“, op. 52 nach Sir Walter Scotts „The Lady of the Lake“) und themat. zusammengehörende (etwa Lieder der Entsagung, op. 23, 87, 108; der menschl. Existenz als Gratwanderung, Grenzüberschreitung, op. 4, 7, 57, 60, 65, 80, sehr verwandt dem Thema der beiden letzten Jahre, der „Winterreise“ und den Rellstab- und Heine-Liedern -„Schwanengesang“, D 957). In den Liedern (es blieben bis zu seinem Tod gut 400 ungedruckt) gelingt es S., die Intentionen der Romantik, wie sie Literaten und Denker in der Nachfolge des Idealismus verstanden, ins musikal. Werk umzusetzen. Ab 1825 erweiterte sich sein Umgang: Neben dem neu konstituierten Freundeskreis um die nach Wien zurückkehrenden Schober und Spaun, nun auch mit Bauernfeld (s. d.), und die regelmäßiger werdenden Schubertiaden mit Vogl bildeten sich Kontakte zu gelehrten Hauskreisen und kunstliebenden Salons (Kiesewetter, s. Kiesewetter von Wiesenbrunn, Caroline Pichler, in Graz durch Jengers Vermittlung Karl und Marie Leopoldine Pachler, alle s. d.), zu der gefeierten Sängerin Anna Pauline Milder (s. Milder-Hauptmann – Widmung der „Suleika II“, op. 31, zuletzt auch des „Hirt auf dem Felsen“), zu Virtuosen, denen S. anspruchsvoll brillierende Instrumentalwerke lieferte: dem Flötisten Ferdinand Bogner (Variationen über „Trockne Blumen“), dem Gambisten Vincenz Schuster („Arpeggione“-Sonate), zu dem jungen Geiger Josef Slawjk (Rondo in h, D 895, Fantasie in C, D 934). Begegnungen mit Beethoven und Carl Maria v. Weber gingen vermutl. schon auf das Jahr 1822 zurück. In den letzten Jahren blieb gestiegene Anerkennung mit Enttäuschung vermischt: Ende 1826 widmete S. die große Symphonie in C, D 944, der Ges. der Musikfreunde in Wien, in deren Repräsentantenkörper er seit 1825 aufgenommen war; zu einer Auff. sollte es zu seinen Lebzeiten jedoch nicht kommen. Im April 1826 bewarb er sich vergebl. um die freigewordenen Stelle des Vizehofkapellmeisters. Dafür wurde er im September 1827 in Graz freundl. aufgenommen, sein Werk enthusiast. begrüßt. Die Bemühungen um die Oper, speziell um eine Auff. von „Alfonso und Estrella“, blieben erfolglos; ein neues Projekt mit dem Libretto „Der Graf von Gleichen“ seines Freundes Bauernfeld kam über Entwürfe nicht hinaus. Mit einem großen Werk in Es krönte S. im Sommer 1828 die Reihe seiner sechs Messe-Kompositionen. Nach dem Erfolg des Streichquartetts in a von 1824 gelangten 1827 noch das Oktett für Bläser und Streicher, D 803, und eines der beiden Klaviertrios (in Es und B) zur Auff.; weder die Streichquartette in d („Der Tod und das Mädchen“, D 810 von 1824) und G (D 887 von 1826), noch das Streichquintett in C aus dem letzten Lebensjahr konnte S. einem breiten Publikum vorstellen. Für all diese Glanzlichter des heutigen Repertoires fanden Verleger kaum noch Interesse (ledigl. das Klaviertrio in Es wurde bei Probst in Leipzig gedruckt), ebensowenig für die drei großen letzten Klaviersonaten in c, A und B (D 958–960). Günstiger schien die Zeit für Klavierstücke aller Art: von den acht Impromptus (D 899 und 935) erschienen noch die ersten beiden sowie die früheren „Moments musicaux“ (op. 90 bzw. op. 94) und in zahlreichen Smlgg. viele der Klaviertänze. S. fand in der Instrumentalmusik nicht die Resonanz zu Lebzeiten, die ihm die Liedkomposition reichl. beschert hat. Während er hier als Schöpfer des lyr. Klavierliedes neuer Art den Nerv der Zeit über viele Jahre zu treffen imstande war, gingen seine Instrumentalsätze nach 1823 – Klangräume neu ausmessend – über das Fassungsvermögen der Zeitgenossen offenbar hinaus; die Impulse sind im Werk Schumanns und Brahms’, aber auch Bruckners und Mahlers wirksam geworden. Anfang November 1828, nachdem er wieder Unterricht genommen hatte, diesmal mit Fugenübungen bei Simon Sechter, erkrankte S. schwer, vermutl. an Typhus. Er starb in der Wohnung seines Bruders Ferdinand, in der er seit September einquartiert war.


Werke: F. S.’s Werke. Krit. durchgesehene Gesammtausg., hrsg. von E. Mandyczewski, J. Brahms u. a., 21 Ser., 1884–97; F. S. Neue Ausg. sämtl. Werke, hrsg. von W. Aderhold, W. Dürr, W. Litschauer, 1964ff.; O. E. Deutsch, F. S. Themat. Verzeichnis seiner Werke in chronolog. Folge (= F. S. Neue Ausg. sämtl. Werke, Ser. 8, 4), 1978, kleine Ausg., bearb. von W. Aderhold, W. Dürr und A. Feil, (1983).
Literatur: Grove, 1980; MGG; Riemann; Wurzbach; H. Kreißle v. Hellborn, F. S., 1865; W. Kahl, Verzeichnis des Schrifttums über F. S. 1828–1928, (1938); S. Die Erinnerungen seiner Freunde, hrsg. von O. E. Deutsch, 2. Aufl. 1966; M. J. E. Brown, S. Eine krit. Biographie, 1969; H. Goldschmidt, F. S., 7. Aufl. 1980; F. S. Dokumente 1817–30, Bd. 1, hrsg. von T. G. Waidelich (= Veröff. des Internationalen F. S. Inst. 10, 1), 1993; S. Die Dokumente seines Lebens, hrsg. von O. E. Deutsch (= F. S. Neue Ausg. sämtl. Werke, Ser. 8, 5), Nachdruck der 2. Aufl. 1980, (1996); P. Gülke, F. S. und seine Zeit, 2. Aufl. 1996; P. Clive, S. and his World. A Biographical Dictionary, 1997; S.-Lex., hrsg. von E. Hilmar und M. Jestremski, (1997); S.-Hdb., hrsg. von W. Dürr und A. Krause, 1997.
Autor: (W. Aderhold)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 11 (Lfg. 53, 1998), S. 271ff.
geboren in Wien
gestorben in Wien

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