Loserth, Johann

Loserth Johann, Historiker. * Fulnek (Mähren), 1. 9. 1846; † Graz, 30. 8. 1936.

Sohn eines Lebensmittelhändlers; sollte Tischler werden, aber finanzielle Zuwendungen einer Verwandten und Privatunterricht ermöglichten ihm schließlich den Gymn.-Besuch. Ab 1866 stud. L. Germanistik und Geschichte an der Univ. Wien bei A. Jäger (s. d.), J. Aschbach (s. d.), O. Lorenz (s. d.) und Th. Sickel und absolv. 1869–71 den Ausbildungskurs am Inst. für österr. Geschichtsforschung, 1871 Dr. phil. Zuerst Real-Gymn.-Lehrer in Wien III., wurde er 1875 ao., 1877 o. Prof. für allg. Geschichte an der Univ. Czernowitz, 1893 o. Prof. für mittelalterliche und neuere Geschichte an der Univ. Graz, 1917 i. R. L.s wiss. Tätigkeit nahm, angeregt durch O. Lorenz, ihren Ausgang von der Quellenkde. Er untersuchte und edierte die Kremsmünsterer Geschichtsquellen und erkannte, daß Bernardus Noricus nicht der Verfasser des ihm zugeschriebenen Quellenkomplexes sein konnte. Von den zahlreichen Arbeiten über Quellen des böhm. Raumes sind L.s Ausgabe der Königsaaler Chronik und seine Untersuchung über Cosmas von Prag hervorzuheben. Bahnbrechend aber wurde er für die Geschichte des Husitismus, als er auf die enge Abhängigkeit der Husschen Lehre von der des engl. Reformers J. Wyclif hinwies. L.s Buch „Hus und Wiclif“ wurde auch ins Engl. übers., und L. bearb. daraufhin einen wesentlichen Teil der in England erscheinenden Ausgabe der latein. Schriften Wyclifs. Sein Interesse fesselten auch Utraquisten und Mähr. Brüder sowie das Wiedertäufertum, dem er mehrere Untersuchungen widmete, durch die er wesentlich zum Verständnis dieser Bewegung beitrug. In Graz erschloß sich ihm ein neuer Themenkreis. Ausgehend von Forschungen zur Verfassung und Verwaltung der Stmk. unter Karl II. wurde er zum Erforscher der Reformations- und Gegenreformationszeit in Innerösterr., wobei er auf die Untertanentreue und die kulturellen Leistungen der Protestanten hinwies, was ihm den Vorwurf eintrug, die Dinge – obwohl selbst Katholik – zu sehr vom protestant. Standpunkt aus zu sehen. Sein gewaltiges Lebenswerk zeichnet sich durch umfangreiches Quellenstud. – viele Arbeiten sind mit reichen Quellenbeigaben versehen – und Hang zur Synthese aus, seine Editionen allerdings genügen modernen Ansprüchen nicht mehr. Mit der Darstellung des Spätmittelalters im Hdb. der mittelalterlichen und neueren Geschichte schuf er ein unentbehrliches Werk für diesen Zeitraum. L., ab 1896 korr., ab 1933 w. Mitgl. der Akad. der Wiss. in Wien, war ab 1908 o. Mitgl. der kgl. Böhm. Ges. der Wiss. und Hofrat.


Literatur: Jahresberr. der kgl. böhm. Ges. der Wiss., 1908, S. 23 f.; Z. des hist. Ver. für Stmk., 1917, S. 205 ff., 1926, S. 5 ff. (mit Werksverzeichnis), 1938, S. 148 ff.; Z. des Ver. für Geschichte Mährens und Schlesiens 28, 1926, S. 1 ff., 38, 1936, S. 159 f.; Der Sämann, 1936, F. 10; Mennonit. Geschichtsbll. 1, 1936, S. 36 ff.; Sudetendt. Monatshe., 1936, S. 555; Die christliche Welt, 1936, n. 16; Z. für sudetendt. Geschichte, 1937, S. 56; Almanach Wien, 1937; J. Pettin, J. L., phil. Diss. Graz, 1950; M. v. Preradovich, Sudetendt. Gelehrte an der Univ. Graz, in: Bohemia. Jb. des Collegium Carolinum, Bd. 3, 1962, S. 395 f.; Wer ist’s? 1908; Masaryk 4; Otto 16, 28; Santifaller, n. 44; A. Lhotsky, Geschichte, des Inst. für österr. Geschichtsforschung 1854–1954, in: MIÖG, Erg. Bd. 17, 1954, s. Reg.; A. Norst, Alma mater Francisco-Josephina, 1900; Festschrift zur Feier des 350jährigen Bestandes der Karl-Franzens-Univ. zu Graz, 1936, S. 95 f.
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 5 (Lfg. 24, 1971), S. 328f.
geboren in Fulnek
gestorben in Graz

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