Sonnenfels, Joseph von

Sonnenfels Joseph von, Staatsmann und Gelehrter. Geb. Nikolsburg, Mähren (Mikulov, Tschechien), 1733 (oder 1734); gest. Wien, 25. 4. 1817; mos., ab 1735 röm.- kath.

– Sohn des Hebräischlehrers Lipman Perlin (1705–1768), der 1735 mit seinen Söhnen zum Katholizismus konvertierte, den Namen Alois Wienner annahm und 1746 mit dem Prädikat „von Sonnenfels“ geadelt wurde. S. absolv. seine Schulausbildung in Nikolsburg und Wien und stud. 1745–49 Phil. und Sprachen an der Univ. Wien. 1749–54 diente er beim IR Hoch- und Deutschmeister unter dem Namen Joseph Wienner. 1754–58 stud. er Rechtswiss. an der Univ. Wien, u. a. bei Karl Anton v. Martini. 1763 Dr. phil. Nach jurist. Praxis in Wien war S. Adjunkt seines Vaters, der seit 1745 an der Univ. Wien oriental. Sprachen unterrichtete. 1761–63 fungierte S. als Rechnungsführer bei der Arcièrenleibgarde. Ein wichtiges Betätigungsfeld eröffnete sich für ihn in der Dt. Ges., deren Vorstand er 1762 wurde und in der er einflußreiche Freunde gewinnen konnte. Nach vergebl. Bewerbung um den Lehrstuhl für dt. Sprache erhielt S. 1763 die neugeschaffene Lehrkanzel für Polizei- und Kameralwiss. an der Univ. Wien, lehrte daneben aber auch am Theresianum. 1765–76 verf. er die „Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz“ (3 Bde.), die – in mehrere Sprachen übers.und mehrfach aufgelegt – bis 1848 verbindl. Lehrstoff für Univ. blieben. Neben seiner wiss. Tätigkeit trat S. zunächst auch journalist. hervor, etwa als Hrsg. von „moralischen“ WS, so etwa des aufklärer. Journals „Der Mann ohne Vorurteil“ (1765–67). Daneben bekleidete er zahlreiche weitere Ämter: So war er Sekr. der ABK, ab 1811 deren Präs., 1773 Referent für Polizeiwesen bei der nö. Regierung. Als Theaterkritiker, der das Theater als Erziehungsanstalt betrachtete, und 1770–72 als Zensor bekämpfte er v. a. die Figur des derben Hanswurst. Kurzzeitig Illuminationsdir. von Wien, schuf S. hier die erste permanente Straßenbeleuchtung Europas. 1780 wurde er w. HR und Mitgl. der Studienhofkomm. Im Auftrag K. Josephs II. – unter dem er allerdings an Einfluß verlieren sollte – unterzog S. ab 1781 alle neuen Gesetze einer sprachl. Revision und kann damit als einer der Schöpfer der österr. Amtssprache gesehen werden. 1791 wurde er Referent der Hofkomm. in Gesetzessachen und der Komm. für die Smlg. polit. Gesetze (1808 Vizepräs.), 1794 und 1796 Rektor der Univ. Wien. Als Ratgeber der Regierung bei Rechtsreformen trat S. für die Abschaffung der Folter und für die Einschränkung der Todesstrafe ein. Sein Projekt einer Smlg. von polit. Gesetzen („politischer Kodex“), für das er sich ab 1780 engagierte (und das 1818 endgültig scheitern sollte), faßte eine durch Regierungsleitlinien verfassungsmäßig begrenzte Monarchie ins Auge. Darüber hinaus setzte er sich auch für die Reform des Polizeiwesens und für die Kodifikation des Strafrechts, Privat- und Verwaltungsrechts ein. Bedeutung erlangte S. auch als Freimaurer und Illuminat. Er war Mitgl. der Wr. Eliteloge „Zur wahren Eintracht“ und einer der führenden Illuminaten in Österr. Seine Staatsphil. war wesentl. von den Ideen des aufgeklärten Absolutismus, den er als ideale Regierungsform betrachtete, beeinflußt. Sinn und Zweck der Ges. lagen für ihn in der Förderung der allg. Wohlfahrt. S. schwebte eine verfassungsmäßige Regierung vor, die von Montesquieus konstitutionellen Vorstellungen abwich. Den Staat teilte er in vier Klassen ein, wobei er dem Bauernstand bes. Bedeutung beimaß. Die Ges.ordnung sah er als Pyramide mit dem Herrscher an der Spitze; zu große soziale Unterschiede sollten vom Staat ausgeglichen werden. In seiner Schrift „Ueber die Ursachen der Französischen Revoluzion“, 1797, wies er die Auffassung von der Schuld der Aufklärung an der Revolution zurück. V. a. in Wirtschafts- und Rechtsfragen entfaltete S. als bedeutendster Theoretiker des aufgeklärten Absolutismus nachhaltige Wirkung.


Werke: W. (bes. s. u. Goedeke; Killy; Kosch; Osterloh; Kremers, 1983; Reinalter etc.): Briefe über die wiener. Schaubühne, ed. H. Haider-Pregler, 1988; Aufklärung als Sozialpolitik – Ausgewählte Schriften aus den Jahren 1764–98, ed. H. Kremers (= Klass. Stud. zur sozialwiss. Theorie, Weltanschauungslehre und Wiss.forschung 10), 1994 (m. B.); etc.
Literatur: ADB; Czeike (m. B.); DBE; Goedeke, s. Reg.bd.; Killy (m. W.); Kosch (m. W.); Wurzbach; R. A. Kann, Kanzel und Katheder, 1962, s. Reg. (m. W. und L.); K. H. Osterloh, J. v. S. und die österr. Reformbewegung im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus (= Hist. Stud.409), 1970 (m. W. und L.); Dt. Juristen aus fünf Jhh., ed. G. Kleinheyer – J. Schröder (= UTB-Taschenbücher 578), 1976, S. 250ff. (m. B., W. und L.); H. Kremers, Quellenkrit. Analyse des ökonom. Denkens von J. v. S. ..., phil. Diss. Graz, 1983 (m. W. und L.); W. Ogris, in: Juristen in Österr., ed. W. Brauneder, 1987, s. Reg. (m. B., W.und L.); J. v. S., ed. H. Reinalter (= Veröff. der Komm.für die Geschichte Österr. 13), 1988; Biograph. Lex. zur Geschichte der demokrat. und liberalen Bewegungen in Mitteleuropa 1 (= Schriftenr. der Internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1850“, 7), 1992, Sp. 160f.; W. Brauneder, in: Juristen – Ein biograph. Lex., ed. M. Stolleis (= Beck’sche R. 1417), 2001, S. 592ff.; S. Wagner, Der polit. Kodex. Die Kodifikationsarbeiten auf dem Gebiet des öff. Rechts in Österr. 1780–1818, 2004; Pfarramt Schotten, Wien.
Autor: (H. Reinalter)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 58, 2005), S. 422f.
geboren in Nikolsburg
gestorben in Wien

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