Minor, Jakob

Minor Jakob, Literarhistoriker. * Wien, 15. 4. 1855; † Wien, 7. 10. 1912.

Stud. am Schottengymn. in Wien, dann an der Univ. Wien Germanistik bei Heinzel (s. d.) und Tomaschek, 1878/79 an der Univ. Berlin bei Müllenhoff und Scherer. 1878 Dr. phil. 1880 Habil. an der Univ. Wien für dt. Sprache und Literatur. 1882 Prof. an der Accad. scientifica letteraria in Mailand, war er ab 1884 ao. Prof. der dt. Sprache und Literatur an der Univ. Prag, 1885 ao. Prof., 1888 o. Prof. an der Univ. Wien. 1912 i. R. 1898 korr., 1905 w. Mitgl. der Akad. der Wiss. in Wien, Vizepräs. der Weimarer Goethe-Ges. M.s Vorlesungen bildeten eine Gesamtdarstellung der dt. Literatur vom Ausgang des Mittelalters bis zu seiner Zeit. Es ging ihm vor allem um literar. Beziehungen und Zusammenhänge, Herausarbeitung individueller Unterschiede und Analyse der Dichtung. Volkstümliche Grundlagen der Literatur vernachlässigte er aus seiner liberalen Haltung heraus. Da er eine relative Vollständigkeit anstrebte, wuchs manches in die Breite, obwohl er knappe Zusammenfassungen versuchte. M. konnte wegen eines Gehörfehlers zwar nicht, wie er gewollt hatte, Schauspieler werden, blieb aber Zeit seines Lebens dem Theater eng verbunden und schrieb zahlreiche Theaterkritiken und Schauspielerporträts. Seine „Neuhochdeutsche Metrik“ war für längere Zeit maßgebend. M., dessen eigentlicher Wegweiser Scherer war, gehört noch der philolog.-hist. Richtung der Germanistik an. Ausgaben und dokumentierte Darstellungen waren seine Stärke, obwohl er im Sinne Diltheys und Hayms bereits einer philosoph. Vertiefung in der Richtung der späteren geistesgeschichtlichen Forschung zustrebte. Seine Frau, Margarete (Daisy) M., geb. Oberleitner (1860–1927), war Vizepräs. des Bundes österr. Frauenver., in dessen Rahmen sie sich vielseitig und aufopfernd für die Frauenbewegung, bes. in Sittlichkeitsfragen und im Kampf für das Frauenstimmrecht, einsetzte.


Werke: Chr. F. Weiße und seine Beziehungen zur dt. Literatur des 18. Jh., 1880; Stud. zur Goethe-Philol., gem. mit A. Sauer, 1880; J. G. Hamann, 1881; Die Leiche und Lieder des Schenken U. v. Winterstetten, 1882; Lessings Jugendfreunde, in: Dt. National-Litteratur 78, 1883; Die Schicksalstragödie in ihren Hauptvertretern, 1883; Fabeldichter, Satiriker und Popularphilosophen des 18. Jh., in: Dt. National-Litteratur 73, 1884; Das Schicksalsdrama, ebenda, 151, 1884; Tiecks Werke, ebenda, 144, 1885; Tieck und Wackenroder, ebenda, 145, 1886; Das neue Burgtheater, 1888; Schiller. Sein Leben und seine Werke, 2 Bde., 1890; Rede auf Grillparzer, 1.–2. Aufl. 1891; Allerhand Sprachgrobheiten, 1892; Neuhochdt. Metrik, 1893, 2. Aufl. 1902; F. v. Saar, 1898; Goethes Faust, Tl. 1, 2 Bde., 1901; F. Grillparzer. Einleitung zu Grillparzers Werken, 1903; Goethes Fragment vom ewigen Juden, 1904; Goethes Mahomet, 1907; Aus dem alten und neuen Burgtheater, hrsg. von St. Hock, 1920; etc. Hrsg.: F. v. Schlegel. Seine pros. Jugendschriften, 2 Bde., 1882, Neuaufl. 1906; A. v. Arnim, Hollins Liebesleben, 1883; C. Brentano, Gustav Wasa, in: Dt. Literatur-Denkmale 15, 1883; A. W. Schlegels Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst, 3 Tle., ebenda, 17–19, 1884; Erzh. Ferdinand II. v. Tirol, Speculum vitae humanae, in: Neudrucke dt. Literatur-Werke des 16. und 17. Jh. 79/80, 1889; J. W. v. Goethe, Egmont, in: Goethes Werke, Weimarer Ausgabe, Bd. 8, 1889; Aus dem Schiller-Archiv. Ungedrucktes und Unbekanntes zu Schillers Leben und Schaffen, 1890; J. W. v. Goethe, Der ewige Jude, in: Goethes Werke, Weimarer Ausgabe, Bd. 38, 1897; Novalis Schriften, 4 Bde., 1907; F. v. Saar, Sämtliche Werke, 1908; A. v. Arnim, Ariels Offenbarungen, 1912; etc.
Literatur: N. Fr. Pr. vom 1. und 7. 6. 1903, 8., 10. und 13. 10. 1912; Frankfurter Ztg. vom 8. und 15. 10. 1912; Neue Zürcher Ztg., 1912, n. 285 und vom 8. 5. 1918; Berner Bund vom 24. 11. 1913; Rathaus-Korrespondenz vom 13. 4. 1955 und 5. 10. 1962; Literar. Echo 13, 1910/11, S. 39 ff., 15, 1911/12, S. 1169 ff.; Österr. Rundschau, Bd. 33, 1912, S. 123 ff.; Das Wissen für Alle 12, 1912, S. 402; Almanach Wien, 1913 (mit Bibliographie); Jb. der Grillparzer-Ges. 24, 1913, S. 164 ff.; Z. für den dt. Unterricht 27, 1913, S. 385; German.-roman. Ms. 5, 1913, S. 289 ff.; Archiv für das Stud. der neueren Sprachen und Literaturen 131, 1913, S. 1273 ff.; Sbb. der Berliner Akad. der Wiss., phil.-hist. Kl., 1913, S. 617 ff.; Feierl. Inauguration, 1913/14; Hochland 11, 1913/14, H. 3; Chronik des Wr. Goethe-Ver. 59, 1955, S. 16 ff.; Verzeichnis der Schriften J. M.s, 1914; Giebisch–Gugitz; Giebisch–Pichler–Vancsa; J. Körner, Bibliograph. Hdb. des dt. Schrifttums, 3. Aufl. 1949, S. 528; Kosch; P. Merker–W. Stammler, Reallex. der dt. Literaturgeschichte, 2. Aufl., hrsg. von W. Kohlschmidt und W. Mohr, 4 Bde., 1955, s. Reg.; Nagl–Zeidler–Castle, Bd. 3, S. 78 ff.; W. Stammler, Dt. Philol. im Aufriß, Bd. 1, 1952, s. Reg.; Kosel; Wininger; Das geistige Wien, 1893, Bd. 1; N. Österr. Biogr., Bd. 6, 1929, S. 70 ff.; Kosch, Das kath. Deutschland; Wer ist’s? 1905–11; Biograph. Jb., 1915, 1917; L. Bellermann, Zur Erinnerung an E. Schmid, 1913. Margarete M.: Wr. Ztg. vom 13. 5., N. Fr. Pr. vom 13. und 15. 5. 1927; Frauenbewegung, Frauenbildung, Frauenarbeit in Österr., hrsg. von M. St. Braun, E. Fürth, M. Hönig u. a., 1930, S. 41, 47; Mitt. M. Fichna, Wien.
Autor: (M. Enzinger)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 6 (Lfg. 29, 1975), S. 311f.
geboren in Wien
gestorben in Wien

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