Drtina, František

Drtina František (Franz), Philosoph, Pädagoge und Politiker. Geb. Hněwschin, Böhmen (Hněvšín, CZ), 3. 10. 1861; gest. Praha, Tschechoslowakei (CZ), 14. 1. 1925; röm.-kath., ab 1921 Mitglied der evang. Kirche der böhmischen Brüder.

Sohn des Kleinbauern František Drtina und seiner Frau Marie, geb. Mrázková, Vater von Prokop Drtina (1900–1980), persönlicher Sekretär Präsident Edvard Beneš’ und tschechoslowakischer Justizminister 1945–48, Schwager des Politikers, Journalisten und Schriftstellers Jan Herben; ab 1897 mit Olga Foustková verheiratet. – Nach der Matura am Akademischen Gymnasium in Prag studierte D. 1880–86 klassische Philologie und Philosophie an der Prager (ab deren Teilung 1882 an der tschechischen) Universität. Philosophisch beeinflusste ihn v. a. →Thomas (Garrigue) Masaryk, auf pädagogischem Gebiet Gustav Adolf Lindner. Seine Studien ergänzte D. 1885/86 an der Universität Berlin (Einfluss Eduard Zellers und Friedrich Paulsens) sowie durch eine Studienreise an die Universitäten Zürich, Paris, Bonn, Heidelberg und Oxford 1889/90; 1889 Dr. phil. D. begann seine Laufbahn als Professor an Prager Gymnasien. 1891 habilitierte er sich aus Philosophie, 1897 auch aus Pädagogik. 1899 wurde er ao., 1903 o. Professor an der tschechischen philosophischen Fakultät in Prag, wo er 1905/06 als Dekan fungierte. Er redigierte zusammen mit →Josef Kaizl das Magazin „Athenaeum“ (1892/93), beteiligte sich an der Gründung (1899) und Leitung (1915–23) der RevueNová doba“, gründete mit František Krejčí und →František (Franz) Čáda die Philosophiezeitschrift „Česká mysl“ (1900), betreute die Reihe „Knihovna pedagogických klasiků“ und war Chefredakteur der „Pedagogické rozhledy“ (1907–14). Auch politisch aktiv, erarbeitete D. das bildungspolitische Programm für Masaryks Realistische Partei, der er von Beginn an angehörte, und vertrat diese 1907–11 im Abgeordnetenhaus des Reichsrats. Während des 1. Weltkriegs war er im tschechischen Widerstand (Maffie) aktiv. 1918–21 fungierte er als Staatssekretär des neuen tschechoslowakischen Schulministeriums und bereitete eine Reform des Schulwesens vor. Als Philosoph war D. vom Positivismus, aber auch vom Pantheismus Paulsens und den Humanitätsidealen Masaryks beeinflusst. Er hielt die Metaphysik für einen wichtigen Bestandteil der Philosophie und den Menschen sowie sein Dasein in der Welt für das tiefste Problem der Philosophie. Daher befasste er sich auch mit Religion, die er als Ergebnis des menschlichen Strebens nach Verständnis der Welt betrachtete. Am Christentum hob D. v. a. die ethischen Werte hervor, insbesondere die Nächstenliebe im Sinn einer Pflicht zu sozialer Tätigkeit. Mit Metaphysik beschäftigte er sich am öftesten als Philosophiehistoriker. In seinem Buch „Myšlenkový vývoj evropského lidstva“ (1902) legte er eine systematische Deutung der europäischen Philosophie vor, in deren Entwicklung er die Ausrichtung auf einen immer tieferen, kritischeren Rationalismus beobachtete, begleitet vom Humanitätsgedanken und vom Fortschrittsglauben. Das Werk erschien erweitert und teils überarbeitet als „Úvod do filosofie“ (2 Bde., 1914–26, 2. Aufl. 1929–48). Als Pädagoge beschäftigte sich D. mit der Geschichte des Schulwesens, den historischen Veränderungen von dessen Aufgabe sowie mit Überlegungen zu weiteren Schulreformen. Er erneuerte die Grundlagen des Schulsystems (Loslösung der Schule von der katholischen Kirche, Mädchenbildung, bessere Lehrerausbildung) und trat für die Allseitigkeit der Erziehung zu humanitären Idealen ein (religiöse Toleranz, Menschlichkeit, Verständnis). Sein pädagogisches Programm fand Eingang in die Bücher „Ideály výchovy“ (1900, 2. Aufl. 1930), „Reforma školství“ (1931) und „Universita a učitelstvo“ (1932). D. war ab 1898 ao., ab 1915 o. Mitglied der Königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften sowie ab 1915 ao., ab 1919 o. Mitglied der Böhmischen Kaiser Franz Joseph-Akademie der Wissenschaften, Literatur und Kunst.


Literatur: Österr. Chemikerzeitung NF 6, 1903; Z. f. angew. Chemie 16, 1903, S. 855; Poggendorff 4, 5.
Referenz: ÖBL Online-Edition, Lfg. 4 (30.11.2015)
geboren in Hniewschin
gestorben in Prag
reiste nach Zürich
reiste nach Paris
war Student Universität Zürich

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